Die Langsamkeit des Sehens
Björn Drenkwitz und Jonas Weichsel
Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Rosemarie,
Ich bedanke mich bei Dir sehr herzlich für das Vertrauen eine Ausstellung für Deine Galerie zu kuratieren und freue mich die beiden von mir ausgesuchten Künstler, die ich ebenfalls herzlich begrüße
Björn Drenkwitz und Jonas Weichsel vorzustellen.
Beide Künstler haben an der Kunsthochschule Mainz studiert. Björn Drenkwitz ist Meisterschüler von Dieter Kiessling, der Professor für Medienkunst ist; Jonas Weichsel studierte dort Malerei und studiert derzeit gleichzeitig an zwei renommierte Kunstschulen weiter, nämlich freie Bildende Kunst an der Städelschule Frankfurt und Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf.
Manche werden sich fragen, was die Videoarbeiten von Björn Drenkwitz und die Malerei von Jonas Weichsel miteinander verbindet und wie es zum Titel der Ausstellung "Die Langsamkeit des Sehens" kommt.
In unserer schnelllebigen Zeit sind wir es nicht mehr gewohnt, unsere Aufmerksamkeit lange auf ein Objekt zu richten. Bei Filmen erwarten wir, dass sie eine Geschichte erzählen und Bilder betrachtet ein durchschnittlicher Besucher in der Regel nur so lange, bis er die allgemeinen Merkmale erfasst hat. Das gilt ganz besonders für abstrakte Kunst, weil sie prima Vista nichts erzählt. Das stimmt so natürlich nicht, sondern vielmehr gilt es herauszufinden, was und wie die hier gezeigten Videos und die abstrakten Bilder erzählen.
Fangen wir bei den Videos von Björn Drenkwitz an: „Jeanne d’Arc“, „Federleicht“ und „Bankett“.
Drenkwitz zeigt uns Figuren, die sich kaum bewegen: in „Federleicht“ sehen wir einen Torso – oder besser gesagt, das Fragment eines Torsos. Es handelt sich um einen stehenden Mann, der in der ausgestreckten Hand eine Feder hält. Er selbst steht auch unbewegt da, wie eine Skulptur. Nur beim genauen Hinschauen nimmt man die Armbewegungen und die zunehmend schnellere und tiefere Atmung wahr, die die Anstrengung der Haltung verraten. Das Werk hört auf, wenn der Schauspieler vor Erschöpfung den Arm fallen lässt.
Während der Titel „Federleicht“ auf die scheinbar leichte Aufgabe, eine Feder zu halten, hinweist, so verbindet man mit „Jeanne d’Arc“ sofort die Feuerqual der als Ketzerin denunzierten Jeanne d’Arc auf dem Scheiterhaufen in Rouen. Auch hier wird die Anstrengung nur durch minimale Gesichtsmuskelbewegungen, Schweißperlen und die zunehmende Atemnot suggeriert. Dabei wird der Betrachter selbst in Atem gehalten und erträgt nur schwer die Vorstellung der von der Geschichte suggerierten Feuerqual.
Das dritte Video zeigt ein Stillleben im Holländischen Stil. Zunächst passiert nichts, dann kommt eine schwarze Katze, die man hauptsächlich von hinten sieht, dann eine zweite. Langsam nimmt man wahr, dass die beiden Tiere im Bild spazieren und unmerklich den Fisch auf dem Teller fressen. Am Ende gibt es nur noch Gräte. Die Katzen zerstören also das Stillleben und schaffen als lebendige Pinsel ein anderes Bild.
Bei allen drei Bildern, aber besonders bei „Jeanne d’Arc“ und „Federleicht“ gibt es in diesem Sinne keine Handlung. Diese wird nur durch minimale Veränderungen suggeriert, Veränderungen die nur dann wahrgenommen werden, wenn der Betrachter mitspielt und sich der Langsamkeit des Vorgangs hingibt.
Ein sehr wesentlicher Reiz der drei Videoarbeiten liegt in der subtilen Ästhetik, die in allen drei Fällen eine Beziehung zu berühmten Vorbilder der Malerei und Skulptur herstellen: Der strahlend weiße Torso von „Federleicht“ ist mit griechischen Skulpturen junger Epheben zum Verwechseln ähnlich; die Büste von Jeanne d’Arc erinnert in der klaren Form an Portraits von Jean-Auguste-Dominique Ingres und durch die Rottöne auch an Georges de la Tour. Bankett ist holländischen Stillleben verblüffend ähnlich.
Wir sehen also hier, dass auch bei Verwendung eines zeitgenössischen Mediums wie Video, die Auseinandersetzung mit Fragen der Malerei möglich ist. Nur werden Drenkwitz´ Bilder durch Schauspieler in Szene gesetzt – hier sei nebenbei erwähnt, dass er zunächst Theater-, Film- und Medienwissenschaften studierte, was bei der Gestaltung seiner Videos sicher eine Rolle spielt. Was an seinen Videos irritiert und zugleich fasziniert, ist der faktische Stillstand des bewegten Bildes, also das Verharren auf das Motiv, und damit verbunden, das Warten müssen, was passiert. Die Ausdauer des Darstellers wird thematisiert und jene des Betrachters auf die Probe gestellt.
In den abstrakten Bildern von Jonas Weichsel erfahren wir ein vergleichbares Phänomen. Dabei geht es hier ausschließlich um Fragen der Malerei. Die Leinwand ist der Raum in dem sich alles abspielt und andererseits ist auch das Bild selbst wiederum ein Bezugspunkt im Raum. Alle Bilder sind in Öl gemalt, was an sich ein langsames Gestaltungsprinzip ist.
Betrachten wir das Kleinformat: wir sehen eine diagonal positionierte, gelbe Raute auf grüngrauem Grund. Erst bei naher Betrachtung stellt man fest, dass die Pinselführung rund um das Quadrat selbst die diagonale Anordnung übernimmt, sodass eine Raumvorstellung möglich wird. Doch was in der unteren, linken Bildhälfte Tiefe suggerieren könnte, wird im oberen rechten Bildteil wieder aufgelöst. Das Element wird zwischen den nur durch die Pinselführung hervorgerufene Aufteilung im fiktiven Bildraum verkeilt.
Wie wesentlich die Pinselführung in Weichsels Arbeiten ist, zeigt auch das Bild „Lenxington“, wo in einem leuchtend violetten Fensterrahmen verschiedene Schattierungen von fast schwarz, über blau bis fast weiß reichen. Dies erzeugt nicht nur räumliche Verschiebungen innerhalb der Rahmenteile, sondern spricht für die Bedeutung der ineinanderfließenden Farben. Hier, wie in den Videos von Drenkwitz, wird besonders evident, das nur ein „Schritt für Schritt Sehen“ die volle Dimension der Darstellung vermitteln kann.
Das großformatige Bild „Sammlung“, eines der seltenen, die einen Bildtitel tragen, ist zweigeteilt. Das Muster jedoch, das an Millimeterpapier erinnert, ignoriert dies und zieht sich über die gesamte Bildfläche. Das Feld, welches in seiner optischen Mischung einen flirrenden Grauwert erzeugt, stellt eine schon fast physische Herausforderung für den Sehenden dar. Es ist mit einer unterschiedlich starken Bildleiste, die oben und rechts weiß, unten schwarz und hellblau ist und links ebenfalls hellblau, eingefasst. Es handelt sich jedoch weniger um einen Rahmen, vielmehr sind es Maßeinheiten, die Relationen herstellen und die Idee des Millimeterpapiers fortführen. Gerade das Unbestimmte, offene ist eine Konstante der Bilder von Weichsel, die mehr zu sehen geben wollen als ein Motiv.
Und zu guter Letzt möchte ich das graue Objekt erwähnen, das einem stilisierten Vogelhäuschen gleicht und mit einem leuchtend grünen Fenster versehen ist. Hier spannen wir wieder den Bogen zu Drenkwitz, denn die grüne Fläche ist nicht gemalt, sondern es handelt sich um ein loop Video, das eine virtuelle grüne Fläche gegen eine dicke Glasplatte projiziert und somit einen Farbraum produziert. In diesem Gehäuse ist die Farbe Grün zuhause.
Meine Damen und Herren, Sehen kann blitzschnell erfolgen. Doch will man Nuancen erfassen, so bedarf es der Zeit. Die hier gezeigten Werke fordern zum Betrachten auf, zur Langsamkeit des Sehens.
Danièle Perrier
14.11.2010