Danièle Perrier im Gesrpräch mit Gerd Korinthenberg
Danièle Perrier, seit 2016 Präsidentin der deutschen AICA und von der Mitgliederversammlung zu Jahresbeginn bis Ende 2022 im Amt bestätigt, bewirbt sich bei der bevorstehenden Wahl zusätzlich um das Amt der Präsidentin von AICA International. Die gebürtige Schweizerin ist seit 13 Jahren aktives Mitglied der AICA Deutschland, seit 2013 im Vorstand, und engagiert sich in zahlreichen Arbeitskreisen des internationalen Verbandes.
Im Gespräch mit Gerd Korinthenberg gibt Danièle Perrier Auskunft über den Ablauf der Wahl sowie die Motivation ihrer Kandidatur:
GK: Ein aktueller Blick in die USA zeigt, wie umstritten Wahlverfahren sein können: Uns AICA-Mitglieder interessiert natürlich, wie die bevorstehende Wahl um das Präsidentenamt von AICA International abläuft, für das Du ja kandidieren wirst.
DP: Die Wahl erfolgt natürlich elektronisch, wird am 30. September eröffnet und schließt am 23. Oktober. Zum Start werden alle Mitglieder, die ihren Beitrag bezahlt haben – das heißt in unserer Sektion alle – einen Link zur Wahlplattform von SurveyLegend erhalten. Um zur Wahl zu gelangen genügt es, diesen Link zu aktivieren und damit die Stimme abzugeben. Nach der Wahl wird der Link deaktiviert, so dass jeder nur einmal Zugang zur Plattform hat.
Die Resultate werden vom Election & Membership Committee überwacht und ausgewertet. Das erste Ergebnis, das ich natürlich mit Spannung und Hoffnung erwarte, wird am 23. Oktober bekannt gegeben. Falls es keine absolute Mehrheit gibt, werden die Mitglieder nochmals einen Link erhalten, mit der Aufforderung, zwischen dem 2. und dem 12. November nochmals abzustimmen. Sollte ein dritter Wahlvorgang nötig sein, wird dieser in gleicher Form zwischen dem 16. und dem 20. November erfolgen.
GK: Danièle, in einem der letzten Newsletter an die Mitglieder der deutschen AICA hattest Du schon angekündigt, Dich auch um die internationale Präsidentschaft zu bewerben. Deine Ziele umfassen sowohl interne als auch nach außen gewandte „Reformen“ des internationalen Verbandes?
DP: Ja, es sind beispielsweise Schritte zu einer stärkeren internationalen Sichtbarkeit und Anerkennung der Kunstkritik nach Außen, ähnlich wie es das ICOM für Museen getan hat. Als Präsidentin werde ich für die Rechte der Kunstkritiker eintreten und für die Meinungsfreiheit kämpfen – etwas, an dem ich schon als Mitglied des Zensurkomitees mitgewirkt habe. Aber zunächst: Nachdem mir schon der Vorstand der deutschen AICA das Vertrauen für meine Kandidatur zugesichert hat, hoffe ich nun auch auf die Unterstützung der Mitlieder unseres nationalen Verbandes durch eine rege Wahlbeteiligung!
In Zeiten des raschen Wandels muss sich die AICA nach meiner Einschätzung an die neuen Anforderungen des sich verändernden Umfelds anpassen. Kunst und Kunstkritik sind sehr sensibel für die Sorgen der Welt und reagieren stark darauf. Insofern kam der von uns im vergangenen Herbst in Berlin organisierte 52. Internationale AICA-Kongress zu Kunstkritik und Populismus, bei dem auch Probleme der Zensur thematisiert worden sind, genau im richtigen Augenblick.
Zu allem Überfluss hat die Abriegelung durch die Corona-Pandemie gezeigt, dass wir unsere Arbeitsmethoden neu erfinden und die Kommunikationswege ändern müssen. Nicht zuletzt haben die sozialen Medien den Sprachgebrauch und die Ausdrucksformen verändert. All diese Faktoren beeinflussen die Kunstkritik, entweder direkt oder indirekt.
GK: Zu einem der Themen, das Kunst und Kunstkritik auf lange Sicht beschäftigen wird, gehört unter dem abstrakten Stichwort des „postkolonialen Diskurses“ die Beschäftigung mit der oft schmerzvollen Geschichte der Beziehung der „weißen Welt“ zu den Völkern anderer Kontinente. Welche Beiträge kann die internationale AICA hierzu leisten?
DP: AICA international sollte einen stärkeren und langfristigen Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen, aus denen viele ihrer Mitglieder stammen, aufbauen. Es müssen auch konzertierte Anstrengungen unternommen werden, um die Einrichtung neuer Sektionen zu erleichtern: Südafrika, Bangladesch oder Sri Lanka, auch Bolivien und Zentralamerika könnten hier die nächsten sein. Ich möchte das oben genannte Ziel vor allem durch Webinare vorantreiben, wie etwa zur Dekolonisierung, was wir mit dem Fellowship Fund Committee unter meinem Vorsitz derzeit entwickeln. Wichtig ist nicht nur die Thematik, sondern auch die Methodik, da sie einen Dialog zwischen den früheren Kolonisatoren und den Kolonisierten herbeiführen will und zwar in ausgewogenen Verhältnissen, um ein besseres Verständnis von einander zu ermöglichen.
Ganz lebensnah und praktisch könnte es auch interessant sein, eine virtuelle Plattform mit aktuellen Nachrichten und Wissen aus Museen in aller Welt zu bieten, um unseren abseits von den großen Kunstereignissen lebenden Mitgliedern Zugang zu den unterschiedlichen Kunstkontexten zu ermöglichen und sie in den allgemeinen Diskurs mit einzubeziehen.
GK: Wie ich aus früheren Gesprächen weiß, liegt Dir im Falle Deiner Wahl in das internationale AICA-Führungsamt als Reform im Inneren an einer stärkeren Vernetzung der nationalen Verbände wie auch an einer Verjüngung, an einer größeren Transparenz und an der besseren Beteiligung von engagierten Mitgliedern?
DP: Ja, was die interne Funktionsweise der AICA betrifft, so ist es notwendig, der inneren Struktur einen kooperativeren Stil zu geben. Mitglieder, die ehrenamtlich arbeiten, müssen für ihren Beitrag mehr Anerkennung erhalten. Für mich ist ein absolut transparenter Führungsstil ein „Muss“. Der Vorstand muss weit im Voraus über die Projekte informiert werden und rechtzeitig vollständige Berichte und detaillierte Budgetinformationen erhalten. Es ist eine Frage des Respekts gegenüber den Vorstandsmitgliedern, ihnen die Möglichkeit zu geben, die Dokumente rechtzeitig zu lesen und ihre Meinung in die Entscheidungsfindung einzubringen.
Die AICA International muss die Ideen und Anliegen junger Kritiker berücksichtigen, um sie einzubinden und ihnen die Möglichkeit geben, in den Gremien eine Rolle zu spielen. Ich beabsichtige, die junge Generation stärker einzubinden und damit die AICA in eine zukunftsweisende Richtung zu lenken. Dies tue ich mit Erfolg in der AICA Deutschland, wo die meisten der neuen Mitglieder jung sind und bei vielen Aktivitäten mitmachen.
Als mögliche neue Präsidentin werde ich der Zusammenarbeit der verschiedenen Ausschüsse mehr Aufmerksamkeit widmen. Und um der AICA mehr Sichtbarkeit zu verschaffen, möchte ich die Vizepräsidenten mit besonderen Aufgaben beauftragen. Sie alle sollen auch „Botschafter“ sein und die AICA gegenüber anderen Organisationen vertreten.
GK: Wo siehst Du ganz persönliche Deine Qualifikationen für die internationale AICA-Präsidentschaft?
Ich spreche fünf Sprachen – Französisch/Deutsch als Muttersprache, Italienisch und Englisch in Wort und Schrift und habe Grundkenntnisse in Spanisch. Das bedeutet, dass ich ohne Übersetzer mit einem guten Teil der Welt kommunizieren kann.
In der deutschen AICA habe ich es geschafft, die Statuten so zu ändern – was übrigens eine 100-prozentige Bestätigung durch unsere Mitglieder erforderte – dass wir nun als NGO anerkannt sind: ein Muss, um Zuschüsse zu erhalten. Im vergangenen Jahr organisierte ich mit unserem engagierten Team den eben schon erwähnten Internationalen AICA-Kongress in Köln und Berlin.
Ich engagiere mich für die AICA International als Vorsitzende des Stipendienfonds, als Mitglied des Zensurausschusses, des Kongressausschusses und des Publikationsausschusses. Durch diese enge und langjährige Kooperation habe ich beträchtliche Erfahrungen mit der Arbeit der AICA und ihrer spezifischen Kultur als Organisation gesammelt.
In meinen früheren Funktionen als Gründungsdirektorin des Ludwig Museums in Koblenz und später als Leiterin des Künstlerhauses Schloß Balmoral in Bad Ems habe ich mir das Wissen angeeignet, wie man eine Institution leitet, wie man einen Haushalt überblickt oder große organisatorische Aufgaben bewältigt.
Abschließend möchte ich sagen: Präsident zu sein ist eine Haltung. Es bedeutet für mich, der AICA mit Leidenschaft zu dienen und auf die Bedürfnisse der Mitglieder einzugehen.