Atelier de france
Ein Experiment beginnt
Einleitung des Katalogs zur Eröffnungsausstellung des Ludwig Museum im Deutschherrenhaus Koblenz, 1992
Das Ludwig Museum im Deutschherrenhaus wird dem Wunsch Peter Ludwigs und der Stadt Koblenz entsprechend ein Museum für Gegenwartskunst mit Schwerpunkt Frankreich sein. Sein Grundstock besteht aus Schenkungen und Leihgaben des Sammlerpaares Peter und Irene Ludwig.
Sicherlich ist Koblenz aus geschichtlichem Blickwinkel und wegen seiner geographischen Lage für ein solches Vorhaben geradezu prädestiniert.
Doch das Bedürfnis, ein spezifisches Museum zu gründen, um Kunst aus Frankreich zu zeigen, hat tiefere Gründe.
Paris, die schillernde Metropole, war lange Zeit unbestritten Magnet für Künstler aus aller Welt: Picasso, Juan Gris, Miró, Tapiès und Max Ernst, sie alle kamen anderswoher und haben die Pariser Szene mitbestimmt. Wie verquickt die Wechselwirkungen auch noch nach dem 2. Weltkrieg waren, zeigt schon allein die Tatsache, dass zwei der bedeutendsten Protagonisten des Informel, Hans Hartung und Wols, sich als Deutsche in Paris niederließen und das dortige Kunstgeschehen entscheidend mitprägten. In den sechziger Jahren verlagerte sich das Interesse auf andere Zentren, hauptsächlich auf Köln, Düsseldorf und die Vereinigten Staaten. die mit ihrer lautstarken Propaganda allmählich Paris aus seiner Vorreiter-Rolle verdrängten. So geriet die Bedeutung der französischen Kunstszene außerhalb der eigenen Staatsgrenzen in Vergessenheit. Es bedurfte einer Bewegung wie "Figuration Libre", der französischen Entsprechung zur Neuen Wilden Malerei in Deutschland, um das Interesse für die Entwicklung der Kunst in Frankreich wieder zu wecken.
Bei der Zusammenstellung der Sammlung in Koblenz stellt sich die Aufgabe, im Rahmen der Gegebenheiten ein möglichst lebendiges Bild der französischen Kunst der Nachkriegszeit zu zeichnen.
Die Schenkungen stecken den Rahmen ab, der von der informellen Malerei der fünfziger Jahre bis zur Gegenwart reicht. Innerhalb dieses Rahmens geht es darum, mit Dauerleihgaben ein weit gefächertes Spektrum abzudecken. Soweit die Sammlungsbestände dies erlauben, sind die Werke im Hinblick auf eine historische Perspektive ausgesucht, vornehmlich Frühwerke, die eine innovative Sprache sprechen und einen epochalen Einschnitt ankündigen.
Noch fehlen in der Koblenzer Sammlung wichtige, beispielhafte Exponate, da viele Werke aus der Sammlung Ludwig, die für eine Darstellung der französischen Kunstentwicklung relevant wären, zuvor dem Museum Ludwig in Köln geschenkt oder anderen Sammlungen zugeordnet wurden. Dies trifft vor allem auf Werke des Informel und des Nouveau Réalisme zu sowie auf die beiden wichtigsten Maler, Dubuffet und Picasso. Hinzu kommt, dass Privatsammlungen aufgrund persönlicher Präferenzen der Sammler entstehen, was sich in der Sammlung Ludwig in eher figurativ ausgerichteten Museumsbeständen widerspiegelt.
Die Frage, nach welchen Kriterien der historische Kern der Sammlung erweitert werden soll, ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil dadurch Zuwachs als auch Aktivitäten des Museums bestimmt werden.
Zwei diametral entgegengesetzte Möglichkeiten bieten sich an:
Die eine Alternative lässt ältere Bestände außer Acht und würde erst mit der Malerei der achtziger Jahre beginnen. "Figuration Libre" und Postmoderne Malerei bildeten den Ausgangspunkt. Obwohl beide Richtungen in der Sammlung Ludwig sehr gut vertreten sind, ist an eine geschlossene Übernahme nicht zu denken, da die räumlichen Voraussetzungen es nicht erlauben. Damit entfällt die Möglichkeit, Werkgruppen zu bilden.
Die andere, die gewählte Alternative bevorzugt einen Standpunkt, der sich an geschichtlichen Zusammenhängen orientiert und außerdem noch den Vorteil einer größeren Flexibilität im Ausstellungsprogramm bietet. So wird der Kern der französischen Arbeiten mit Kunstwerken von international bedeutenden Künstlern angereichert, vornehmlich von denen, die zeitweise in Paris gelebt haben, wie z. B. Christo und Vostell. Weitere Kunstwerke werden ausgesucht, weil sie französische Kunst reflektieren oder parallele Tendenzen aufzeigen. Eine Auflistung der gesamten Schenkungen und Leihgaben folgt im Katalogteil.
Ziel des Museums ist die Konzentration des Programms auf französische Kunst. Gleichzeitig soll die wechselseitige Beziehung gezeigt werden zwischen künstlerischem und philosophischem Gedankengut, das zeitgenössische und ausländische Künstler bewegt. Somit will das Museum am Vorabend des vereinten Europas den Versuch wagen, einen Beitrag zur europäischen Kultur zu leisten. Insofern macht es sich die Intentionen der Sammlung Ludwig zu eigen und kombiniert sie mit dem Anliegen eines klar abgegrenzten Forschungsgebietes.
An dieser Stelle danke ich Herrn und Frau Professor Ludwig für die konstruktive Zusammenarbeit ganz herzlich. Gleichzeitig freue ich mich, dass sie als Mäzene so vielen meiner Vorstellungen und Wünsche nachkamen. Ihr Engagement für dieses Projekt und ihre tatkräftige Unterstützung gaben den notwendigen Rückhalt, um wichtige Kontakte in Frankreich zu knüpfen. Denn eines war von vornherein klar: Die Sammlungsbestände sollen punktuell ausgestellt, programmatisch pointiert und im Rhythmus der Wechselausstellungen didaktisch neu präsentiert werden.
Dieses Anliegen steht auch Pate für die Gestaltung der Erstausstellung "Atelier de France". Diese Ausstellung soll die Schwerpunkte der Bestände möglichst weitgehend in ihren geschichtlichen Kontext einbetten.
Die Auswahl der Werke ist nicht zuletzt durch die Architektur und Raumaufteilung beeinflusst. Das Deutschherrenhaus ist ein schlichter gotischer Bau, der nach der Kriegszerstörung im Inneren zum Teil mit Stützpfeilern wiederaufgebaut wurde. Durch die stark abweichende Höhe der einzelnen Etagen erhält jeder Raum seinen eigenen Charakter. Insgesamt bietet das Haus 1000qm Ausstellungsfläche auf vier Stockwerken. Dass es heute in neuer Pracht erstrahlt und sich zur Präsentation von Kunstgegenständen eignet, ist der Stadt Koblenz zu verdanken. Allen voran Herrn Oberbürgermeister Willi Hörter, der sich persönlich für die Errichtung dieses Museums einsetzte, sowie den Mitarbeitern des Hochbauamtes, die, vor ungewohnte Aufgaben gestellt, mit Flexibilität reagierten und in der Ausführung der Bauleitung größte Sorgfalt walten ließen. Allen drücke ich meine tiefe Anerkennung aus.
Entsprechend der Raumaufteilung wurden folgende Richtungen der französischen Kunst kontrapunktisch zusammengestellt: Die "Nouveaux Réalistes" werden den Werken von "Support(s)/Surface(s)" gegenübergestellt; "Spurensicherung" wird mit fließenden Grenzen zu "Fluxus" und "Concept art" dargestellt; die Graphiken und Zeichnungen aus dem Spätwerk von Picasso leiten zu "Figuration Libre". Im ersten Stock setzen sich die dicht an dicht gestellten Objekte des "Nouveau Réalisme" gegen die lichter ausgestellten Werke von "Support(s)/Surface(s)" ab. Im niedrigen Obergeschoß entdeckt man in kleinen Kammern Werke von Spurensicherung, mit Fluxus und Concept art und im Erdgeschoß scheinen die bunten Werke von Figuration Libre den Rahmen zu sprengen.
Im Kunstlichtraum werden die Werke von Picassos klassisch präsentiert.
Um eine bessere Vorstellung der Bedeutung der französischen Werke in der Sammlung Ludwig zu vermitteln, wurde, sofern möglich, auf Bestände der Sammlung in anderen Museen zurückgegriffen. Die Graphik von Picasso und das monumentale Stempelbild von Arman werden von Köln, die "Cahiers" von Jean Le Gac von Wien und etliche weitere Werke von Budapest zur Verfügung gestellt. Diesen Museen und dem Team des Ludwig Forums sowie der Ludwig Stiftung in Aachen, die für die Übergabe der Schenkungen und Leihgaben sorgten, sei vielmals gedankt.
Darüber hinaus bedurfte es eines regen Austausches mit anderen Institutionen, Galerien, Künstlern und Sammlern.
Auf französischer Seite wurde unser Projekt gefördert von Madame Cornuel, Attachée culturelle der französischen Botschaft in Bonn, und von Monsieur Henri-Claude Cousseau, Generalkonservator der Museen von Frankreich, sowie von Monsieur Max Moulin, Direktor der AFAA (Association Française d'Action Artistique), die diese Ausstellung finanziell unterstützt.
Ihnen allen sowie den zahlreichen Leihgebern, die an anderer Stelle genannt sind, vor allem aber den Künstlern selbst - fast alle haben das Projekt wohlwollend mitgetragen - sei aufrichtig gedankt.
Eine Ausstellung sollte die Gelegenheit bieten, sich an ein Gebiet heranzutasten. Sie läßt sich emotional, aber auch rational erschließen. Den emotionalen Zugang kann die Präsentation erleichtern, dem intellektuellen Verständnis dient ein erläuternder Katalog. Für einen Katalogbeitrag über das Spezifische in der französischen Kunst konnte Bernard Lamarche-Vadel gewonnen werden, dessen Forschungsgebiet genau den Bogen spannt, der den Rahmen dieser Ausstellung bildet. Für sein Mitwirken bin ich ihm verbunden.
Mein persönlicher Dank gilt auch Robert Fleck. Als Kritiker und Art-Korrespondent war er mit Rat und Adressen dabei, erstellte einen Teil der Biographien und zeichnet für die Übersetzung des Textes von Lamarche-Vadel. Gedankt sei der Übersetzerin Aude Virey-Wallon und dem Schriftsteller Jean Steinauer, der in letzter Minute für Übersetzungsarbeiten einsprang. Das Gelingen eines Katalogs liegt nicht zuletzt in der Hand des Graphikers. Lob und Dank an Wilhelm Zimmermann, den Kulturpreisträger der Stadt Koblenz.
Der Dank an das Team kommt von Herzen und geht an meine beiden Mitarbeiterinnen, Monika Kaiser (wissenschaftliche Assistentin) und Sylvia Roos (Sekretariat), die auf engstem Raum die alltäglichen Sorgen mitgetragen haben und die Eröffnung des Museums zur eigenen Sache machten; an den Verwalter des Museumsamtes, Herrn Joachim Brandt, der bei der Bewältigung von Organisationsproblemen half und neue Bedürfnisse und Ideen mit den Gesetzen einer Verwaltung in Einklang brachte; an Herrn Dr. Klaus Weschenfelder, der als Amtsleiter der städtischen Museen mit seiner zuvorkommenden Art viele Schwierigkeiten gelassen aus dem Weg räumte; an den Leiter des Kulturamtes, Herrn Engelbert Flöck, der mir als Bauherr und als Organisator der Eröffnungsfeier hilfreich zur Seite stand und außerdem noch verschiedene Veranstaltungen mitgestaltete.
Ein ganz besonderer Dank gebührt der Kulturdezernentin, Dr. Ingrid Bátori, die mit unermüdlichem Einsatz die Interessen des Museums vertritt und mir jederzeit moralische Stütze war.
Das Museum ist nun eröffnet. Was gestern noch Zielsetzung war, erscheint heute nur als ein erster Schritt in der Öffentlichkeitsarbeit. Die dauerhafte Realisierung der spezifischen Idee dieses Museums wird von vielen Faktoren abhängen, vor allem von der Unterstützung der Stadt und der notwendigen Privatinitiativen aller Art. Hier möchte ich die Landesbank von Rheinland-Pfalz, besonders ihren Direktor Herrn Rüdiger Vehof dankend erwähnen, die als erste die Intentionen des Museums mitträgt, indem sie einen Teil der Katalogkosten übernommen hat. Finanzielle Hilfe gibt ebenfalls die Firma Philips, wofür ich ihr sehr verpflichtet bin. Auch der Firma Alex sei für ihre materielle Unterstützung herzlich gedankt.
Die Eröffnungsausstellung ist aus dem Wunsch entstanden, die Sammlung didaktisch sinnvoll zu ergänzen. Dahinter steckt der Wille, Anregungen für erstrebenswerte Ergänzungen aufzuzeigen. Das Ehepaar Ludwig hat bereits Weichen gestellt, indem es ein paar wichtige Arbeiten für die Sammlung erwarb. Eine Komplettierung der Bestände durch weitere Schenkungen könnte die Zukunft des Museums entscheidend prägen.
In welcher Richtung auch immer das Museum sich entwickeln wird, - das weiß man bei einem Experiment nie -, es wird immer des engagierten Einsatzes freiwilliger Mitarbeiter bedürfen.
Hier ist Frau Riblet und Herrn Dr. Grobe für die Übersetzung der Beiträge des Katalogs von Picasso aus St. Etienne zu danken sowie den Studentinnen der Universität Koblenz, die sich zur Einarbeitung in die Materie bereit erklärt haben, um Führungen zu übernehmen.
Zu danken ist außerdem vielen Kollegen, Restauratoren und Galeristen, Unternehmen und Betrieben für ihren sachkundigen Rat, ihre Hilfe und ihre Unterstützung. Ihre Anregungen und ihr Optimismus haben uns oft ermuntert. Sie waren unsere ersten Bezugspunkte nach außen hin, und diese Eröffnung ist also auch ihre Sache. Allen, auch denen, die nicht namentlich genannt werden können, drücken wir unsere Anerkennung und unseren Dank aus.
Ich freue mich auf die herausfordernde Aufgabe, die mich erwartet, und auf die sicherlich interessante Arbeit, die eine neue Museumsidee mit sich bringt. Ich bedanke mich bei dem Sammlerehepaar und bei der Stadt herzlich für das in mich gesetzte Vertrauen.
Danièle Perrier
1.8.1992