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Chihiro Shimotani – Worte

Chihiro Shimotani - Worte

Herz-Jesu Kirche, Köln 2013

Kleine Retrospektive

Sehr geehrte Damen und Herren,

Es ist mir eine Ehre und Freude in das Werk von Chihiro Shimotani einzuführen, dies nicht als langjährige Kennerin seiner Arbeit, sondern als eine Kunsthistorikerin mit dem Blick eines Neophyten. Für diese Aufgabe danke ich Christel Schüppenhauer sehr herzlich, die sich seit Jahren mit der Arbeit von Shimotani befasst und beständig für seine Anerkennung in unseren Breitengraden erfolgreich gekämpft hat.

Der Titel der Ausstellung Chihiro Shimotani –Worte wird vom Untertitel kleine Retrospektive begleitet. Das bedeutet, dass die hier präsentierten Werke aus verschiedenen Schaffensphasen ausgesucht wurden und Einblicke in das Gesamtoeuvre vermitteln. Dabei sind unterschiedliche Werkgruppen zu erkennen: Auf der einen Seite gibt es mit Acryl bemalte und mit Blattgold gehöhte Reliefs, skulpturale, von Eisenstrukturen zusammen gehaltene Pulpreliefs, Installationen mit bedruckten Steinen und – prominent hier in der Ausstellung – zwei Erdhaufen, sogenannte Earth Printings, die speziell für die Präsentation in der Herz-Jesu Kirche angefertigt wurden und mit Textpassagen des Johannes Evangeliums und des Alten Testaments bedruckt sind.

Chihiro Shimotani

Earth Printing, Herz Jesu Kirche, Köln,2013

Die beiden Earth Printings stehen in direktem Zusammenhang mit jenen, die Shimotani 1973 für die Biennale von São Paulo fertigte und für die er damals mit dem Großen Preis geehrt wurde. Zwischen den ersten und den jetzigen Earth Printings gibt es zwar inhaltliche, aber keine formalen Unterschiede. Damit ist klar, dass die verschiedenen Werkgruppen nicht im Sinne einer Werkevolution zu begreifen sind, sondern im Sinne eines ständigen Nebeneinanders sich gegenseitig befruchtender und aufeinander Bezug nehmenden Arbeiten.

Eine sehr hohe Bedeutung haben die verschiedenen Materien, die Shimotani zur Produktion seiner Werke einsetzt. Es sind vorrangig Materialien aus der Natur, noble wie Steine, Holz, Metall, Gold, Pulp, aber auch flüchtige wie Erde, Schnee, Eis und Wasser. Das allein deutet darauf hin, dass die ausgewählten Materialien in sich schon eine Botschaft tragen. In diesem Sinne möchte man von Elementen sprechen, weil es um deren Essenz, deren Substanz geht und womit wir sie identifizieren: Stein ist beständig und hart, Metall ist glatt und kalt, Holz ist warm, Gold lodert, Papier ist empfindlich und wellt sich leicht bei Feuchtigkeit, Eis und Schnee schmelzen, Wasser verdunstet und gepresste Erde bröckelt mit der Zeit ab.

In der Verwendung von Naturelementen und dem Wirken lassen ihrer eigenen Substanz, weist Shimotani eine gewisse Affinität zur Japanischen Gruppe Mono-ha auf, die sich in den 60er Jahren konstituiert. Die Protagonisten der eher losen Künstlergruppe haben gemeinsam, dass sie nicht Kunst produzieren, sondern Dinge zusammenfügen. Oft sind es Naturelemente, die unerwartete Sichtweisen erschaffen. Sie wollen die Dinge in ihrem Wesen und in ihren Gegensätzen darstellen. Dabei sind auch konzeptuelle, sozio-politische und kulturelle Grundlagen von Bedeutung. Der Vergleich gilt eher den Intentionen als der Vorgangsweise, denn Shimotani verarbeitet sehr wohl die Materie und zwar mit einem abstrakten Material, nämlich Worten, die er bedruckt, einfräst oder prägt.

Sprache ist für Shimotani nichts anderes als eine weitere Materie. Wie der Stift für den Zeichner sind Worte für ihn ein Werkzeug, ein Mittel zum Zweck. Die Installation Landschaft über dem Wasser, die er 1976 in der Akademie der Künste in Berlin zeigte, veranschaulicht seine konzeptuelle und zugleich minimalistische Vorgehensweise besonders gut: Auf dem Boden stehen in regelmäßigen Abständen 559 mit Wasser gefüllte, weiße Plastikeimer. Auf der Wasseroberfläche eines jeden Eimers schwimmen Inschriften mit den Worten „Himmel“, „Land“, Haus“, „See“... Kraft der Worte wird auf einmal eine Seelandschaft, der Wannsee, bildlich vergegenwärtigt. Dieser konzeptuelle Vorgang zeigt, wie mächtig Sprache ist. In ihrer sehr aufschlussreichen Analyse zu Shimotanis Wortgebrauch sagt Marlies Obier mit Recht: „Das Wort ist die Erfindung des Menschen, um sich eine neue Wirklichkeit zu schaffen“ und genau um diese Wirklichkeiten in unserem Bewusstsein wach zu rufen, geht es bei Shimotani. Die Frage ist nur, mit welchem Wortschatz er uns konfrontiert, wo seine gedanklichen Wurzeln zu suchen sind. Eine Antwort geben die hier ausgestellten Werke, die drei Themen zuzuordnen sind: Religion, Literatur und Oper.

Dass hier in der Kirche etliche Werke religiösen Inhalts gezeigt werden, spricht auch für die Verortung der Kunstwerke. Sie sind sozusagen im räumlichen Kontext eingebettet. Lassen wir die Titel sprechen: A.D. steht für Anno Domini (das Jahr des Herrn) und bezeichnet den Beginn unserer Zeitrechnung. Es markiert außerdem den Zeitpunkt eines Geschehens. Tenebrae (zu Deutsch die Dunkelheit, die Finsternis) verweist auf das Reich des Bösen – man glaubt hier die wunderbare Vertonung des Dies irae (der Tag des Zorns) in Verdis Requiem bildlich zu hören. Taceo (Schweigen) dagegen lädt zum Zuhören ein, zum Inne halten, zum Beispiel um über den Satz Im Anfang war das Wort nachzudenken, der auf einem der beiden Earth Printings zu lesen ist. All diese Titel nehmen direkten Bezug auf die Bibel und das Alte Testament. Das mag zunächst erstaunen, da Shimotani wie viele Japaner Schintoist ist. Und doch ist dies in eben dieser Religion begründet. Der Shintoismus erkennt viele Götter an, Kami genannt. Kami können Menschen, Tiere, Pflanzen sein, daher wird diese Religion als pantheistisch und animistisch angesehen. Weniger bekannt ist, dass ein Kami auch der christliche Gott sein kann. Diese sehr offene Weltanschauung prägt Shimotanis Werk, der das Verbindende zwischen den Kulturen sucht.

Wir haben gesehen, dass der Ort – oder manchmal auch die Verortung – eine wesentliche Rolle im Werk Shimotanis spielt. Ein weiterer Aspekt ist der Faktor Zeit. Hier seien nochmals die ersten Earth Printings von 1973 mit den beiden hier gezeigten zum Vergleich heran gezogen. In beiden Fällen handelt es sich um Erdarbeiten mit bedrucktem Text. Damals hatte der Künstler aktuelle japanische Zeitungsausschnitte bedruckt und so einen Bezug zur Aktualität hergestellt. Der Erdhaufen zerbröckelte im Laufe der Ausstellung und die Texte wurden unleserlich, ein Symbol für die Flüchtigkeit der Geschehnisse, die unser Leben so oft bestimmen. „Vanitas vanitatum omnia est vanitas“.

Herz Jesu Kirche e.V. Köln
7. September 2013