Wenn Avant-Garde und Tradition sich treffen
Der Neubau des Kunstmuseums Basel
Die „Weltstadt im Kleinformat“, wie sich Basel- Stadt mit ihren drei Gemeinden und rund 220.000 Einwohnern selbst bezeichnet, in der sich Tradition und Moderne paaren, kann der langen Liste seiner Museumseinrichtungen – Kunstmuseum, Museum der Gegenwartskunst, Tinguely Museum, Schaulager, Fondation Beyeler, Kunsthalle, um nur die prominentesten Einrichtungen für Moderne und Gegenwartskunst zu nennen – einen Neubau dazu addieren. Es ist kein selbstständiges Museum, sondern ein Erweiterungsneubau des Kunstmuseums Basel. Nach dem Bau des Museums für Gegenwartskunst – heute zu Kunstmuseum ׀ Gegenwart umgetauft – im St. Alban-Tal, welches 1980 als erstes öffentliches Ausstellungsbau in Europa ausschließlich der zeitgenössischen Kunstproduktion und –praxis gewidmet wurde, ist es die dritte bauliche Erweiterung, sieht man von der Auslagerung des Kunsthistorischen Seminars und der Kunsthistorischen Bibliothek ab, die seit 2007 im Laurenz-Bau der anschließenden ehemaligen Nationalbank untergebracht sind.
Trotzdem wurde der Platz im Hauptbau zu eng, denn der klassizistische, vierflügelige Bau mit seinem Atrium war von den damaligen Architekten nur für Sammlungsbestände konzipiert. Das hatte zur Konsequenz, dass die Sammlung immer wieder zugunsten temporärer Ausstellungen weichen musste. Hinzu kommt, dass die Sammlung einen enormen Zuwachs an Werken der zweiten Hälfte des 20. und des 21. Jahrhunderts erhalten hat. Somit beherbergt das Kunstmuseum Basel eine Sammlung, die vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht. Neben Gemälden, Skulpturen, Installationen und Videos beherbergt das Kupferstichkabinett 300.000 Werke auf Papier – Zeichnungen, Aquarelle und Druckgraphiken. Neben dem Bedarf an Ausstellungsflächen wurden nun auch Depoträume notwendig. Bei der Planung des Neubaus wurde daher ausdrücklich spezifiziert, dass sich die neuen Ausstellungsräume und Depoträumlichkeiten für alle Bereiche der vielfältigen Sammlungsbereiche eignen müssen.
Von den 200 Architekten, die am Wettbewerb teilgenommen haben, darunter fünf Pritzker-Preisträger, erhielt das Basler Architektenbüro Christ & Gantenbein den Zuschlag, als wäre der Kleinneffe von Rudolf Christ Garant für die Verbindung von Tradition und Moderne, auf die Basel mit Recht so stolz ist. Man kann ihr zur Wahl der Architekten durchaus gratulieren, denn der Neubau bereichert das Stadtbild um ein Juwel.
(Abb. 1 Sicht von der Rittergasse auf die Stirnfront) anfordern
Kommt man von der Rittergasse, also von der Altstadt, steht der Neubau da, ein Blickfang, mächtig und kompakt, wie ein mittelalterliches Tor, das mit seinem Knick in der Mitte einladend wirkt und den Blick auf alles andere verschließt. Somit haben Christ & Gantenbein das ursprüngliche Stadtbild wieder hergerichtet, denn bis 1878 stand am Ende der Rittergasse der St. Alban Schwibbogen, also das Tor der inneren Stadtmauer. Vom Bankverein aus greift er die Flucht des Hauptbaus des Kunstmuseums auf und leitet, durch den erwähnten Knick, in die Biegung zur Wettsteinbrücke hinüber. Somit nimmt er die Straße in sich auf und bildet, an diesem sehr belebten Straßen-Carrefour einen kleinen Vorplatz, eine Einladung die asymmetrisch gesetzte Eingangstür – besser gesagt, das Portal aus feuerverzinktem Stahl zu betreten, das umso imposanter wirkt als es die einzige Öffnung der Frontseite ist.
So sehr der Neubau majestätisch für sich selbst steht, so ist er konzeptuell auch als Geschwisterbau des Haupthauses konzipiert. Beide Häuser bilden ein Paar auf Augenhöhe. Das drückt sich zum Beispiel darin aus, dass der Neubau in der Flucht des Altbaus sich einzeichnet. Die beiden Gebäude, deren Traufen gleich hoch sind, passen sich der Firsthöhe der umgebenden Häuser an. Die Seitenflanken des Neubaus bilden den natürlichen Abschluss der St. Alban Vorstadt und der Dufourstrasse, wobei seine eingekerbte Stirnseite das Aufeinandertreffen der beiden Straßen betont. (Abb. 2 Plan anfordern). Wie in den Proportionen ist der Neubau auch farblich auf die Fassade des Kunstmuseums abgestimmt. Die dänischen Backsteine variieren im Farbton von beige bis grau und greifen somit den Farbenwechsel des Kalksteins vom Hauptbau auf, bei dem die grauen Streifen sich markant vom beigen Grundton absetzen und eine horizontale Gliederung bilden. Beim Neubau ist es die Verwendung von nur vier Zentimeter hohen Backsteinen und der Schatten, der sich durch die tiefer gelegenen Fugen verursacht wird, für eine horizontale Gliederung sorgen. Hinzu kommt der Farbenwechsel – abgestuftes grau für die Sockelzone und wieder für den Fries. Im Katalog ist von „Wasserstrichziegeln“ die Rede, was den Effekt von Hand gestrichelten Linien sehr gut beschreibt. Wenn der Bau in seiner Materialität den Akzent auf handwerklich gefertigte und damit auf Tradition setzt, so bringen die Accessoires eine resolut zeitgenössische Konnotation: Die Türen und die Fenster, die, wie in alten Stadtpalais mit klappbaren Fensterläden bei Bedarf geschlossen werden können, sind aus feuerverzinktem Stahl und sind reine industrielle Produkte. Innovativ ist auch die Hinterlegung von LED-Streifen in den Hohlkehlen der Backsteine, die den Fries zum Glimmern bringen. Die variable Einstellung der einzelnen LEDs erlaubt außerdem den Fries als Schriftband für die Ankündigung der Ausstellung zu nutzen. Derzeit liest man Sculpture on the Move. So verwandelt sich der elegante und leichte Baukörper der Stirnseite zu einem monumentalen, offenen Buch.
Während die Außenansicht des neuen Museumstrakts auf eine innovative Art und Weise mit dem existierenden Bau reagiert und trotz der Geschlossenheit seiner Struktur eine unerwartete Leichtigkeit aufweist, ist im Inneren die Anlehnung am Altbau evidenter und auch konservativer. Auch wenn der Neubau über einen eigenen Eingang verfügt, findet der eigentliche Zugang über den Hauptbau statt. Von dessen Eingangsbereich führt eine lange Treppe in die Tiefe, von wo aus ein unterirdischer Gang zum Nebentrakt führt. Die Treppe bildet nicht nur faktisch, sondern auch durch ihre Gestaltung eine Verbindung zwischen Alt- und Neubau. Ihre Monumentalität, die Verwendung von Marmor für Boden und Brüstung sowie der Kratzputz für die Wände sind an den Baustil des alten Bautrakts angelehnt. Jedoch ersetzt ein kühler Grauton das Beige, wie in allen Verbindungsanlagen des Neubaus. An der Stirnwand als einziger Blickfang, die Neonspirale von Bruce Naumann The true artist helps the world by revealing mystic truths, ein Inkunabel der Basler Sammlung. (Abb. evtl. Mein Foto)
Der sehr breite Verbindungstrakt unterhalb der Straße, in dem nur zwei imposante Skulpturen ausgestellt sind, lässt eine sehr großzügige Präsentation vermuten, denn hier und in der anschließenden Empfangshalle verfügt jedes Werk über viel Raum und kann sowohl mit ihren Nachbarn als für sich selbst betrachtet werden. Auf der schwarzen Stirnwand ist das Werk von Sol Lewitt Wall drawing #304: all combinations of six white geometric figures (outlines) superimposed in pairs on a black wall, 1977 eingraviert. Die zugleich analytische und spielerische Auseinandersetzung des Werks mit den Grundformen der Geometrie gibt wie eine Anleitung zur multifunktionellen Nutzung dieser Halle für Filmpräsentationen, Performances, Konzerte, Vorträge oder einfach für Empfänge. Von da aus gelangt man zur Treppenanlage, die hinsichtlich Material- und Farbenwahl identisch ist mit der eben beschriebenen Eingangstreppe; allerdings windet sie sich kurvig um die eigene Achse und spart auf diese Weise Platz. Trotzdem wirkt sie überwältigend monumental, zu monumental. Dafür gewährt sie von überall her spannende Einblicke in den Übergängen der verschiedenen Stockwerke. Sie setzt zweifelsohne einen starken architektonischen – ja skulpturalen – und farblichen Akzent zwischen den beiden Bauflügeln in der Verlängerung der St. Alban Vorstadt und der Dufourstrasse, in denen die Ausstellungsräume untergebracht sind. Auch der Lifttrakt ist in Grau gehalten, wobei hier die „Container Komponente“ wie die Architekten selbst sagen, durch die Verkleidung der Wände mit feuerverzinktem Stahl besonders betont wird. Es ist, als hätten die Architekten ihre Fantasie besonders in den Fluren und Verbindungswegen gelegt, wobei immer nobles Material auf Brutalistisches und industrielle Produkte trifft, womit genau den gewollten Effekt zwischen Kunstpalast und Kunstcontainer erwirkt wird.
Dies gilt auch für die Ausstellungsflächen, allerdings mit anderen Akzentuierungen. Wir haben keinen White Cube vor Augen, sondern ein klar strukturierte Innenarchitektur mit unterschiedlich großen Räumen, eine reine Architektur als Rezeptakulum der Kunst, wobei auch hier viele kleine Details sehr interessant gelöst sind. Die Wände des Betonbaus sind mit einer zehn Zentimeter dicken Gipsschicht überzogen. Das hat zur Wirkung, dass die Türzargen mit dem grauen Kratzputz – die eigentliche Wand –nicht vor- sondern zurückspringen, als wollten sie sich zurücknehmen, nur die räumliche Begrenzung zum anderen Raum öffnen.Überflüssig wirkt die graue, in den Boden eingelassene Marmorschwelle. Während die makellos weißen Wände die Neutralität des White Cubes aufgreifen, sorgen die Decken für ideale Lichtverhältnisse. Ob Oberlichtfenster wie im Dachgeschoss, oder Kunstlicht, das gelegentlich durch den Lichteinfall von Fenstern ergänzt wird, überall sind die Decken aus grauem Sichtbeton und mit rippenartigen Elementen versehen, in denen die Beleuchtungskörper – lineare LEDs – eingebettet sind. Durch diese farbliche Absetzung und die Ausrichtung der Lichtquelle nach unten, wird der Raum mit Licht durchflutet. Nirgends gibt es Spots, nirgends Stellwände, die den Raum begrenzen. Zu den markanten Bauelementen gehört der Boden aus sogenanntem Industrieparkett – geöltes Eichenholz deren Fugen mit Holzzement gefüllt sind. Sowohl der Boden mit seinem warmen, gelblichen Ton, als auch die in grau gehaltenen Decken und die verzinkten Türen und Fenster, verleihen dem Raum eine starke Wirkung, welche durch die schon im Treppenhaus erwähnte Wahl von gegensätzlichen Materialien zwischen Palast und Kunstcontainer oszilliert. (Abb. eine Innenansicht evtl. anfordern)
Es war eine Vorgabe des Museumsdirektors, dass die Ausstellungsräume des Neubaus sich sowohl für alte Kunst als auch für zeitgenössische Installationen und Videos eignen müssen, denn der Hauptbau bleibt der Präsentation der Sammlung vorbehalten, bis auf die Ausstellungen des Kupferstichkabinetts, in denen parallel zur Skulpturenausstellung Zeichnungen und Druckgrafiken von Barnett Newman gezeigt werden. Um der Anforderung gerecht zu werden planten die Architekten, unterschiedlich zugeschnittene, eher kleine Räume. Im ersten und zweiten Stock sind in jedem der beiden Bautrakts jeweils vier verschiedenartig große, miteinander verbundene Räume eingebettet, während im Erdgeschoss eine große Ausstellungshalle die gesamte Fläche des einen Blocks einnimmt. Im Untergeschoss ist dieser Bereich zweigeteilt. An sich erlaubt die Anordnung der Ausstellungsräume in den beiden, durch Lift und Treppenzugang geteilten, Baublocks die freie Wahl des Parcours, was für eine individuelle Begegnung mit der Kunst von Vorteil ist. In manchen Räumen gibt es Sitzgelegenheiten für eine besinnliche Betrachtung.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Neubau eine neue Form von Klasizismus einführt, der in den Verbindungtrakten nobel, imposant und, in Anlehnung am Hauptbau, sehr monumental wirkt; in den Ausstellungsräumen bis auf den dominanten Boden zurückhaltender ist. Es ist allerdings die Frage, warum hier, wie in so vielen anderen neuen Museen, immer wieder so viel Platz für Treppenhäuser und Gehwege statt für Kunst eingeplant werden.
Als Eröffnungsausstellung des Neubau und zugleich seiner Abschiedsausstellung hat der Direktor des Kunstmuseums Basel, Bernhard Mendes Bürgi, als Antwort auf seine Antrittsausstellung Painting on the Move im Jahr 2002 nun Sculpture on the Move 1946-2016 kuratiert. Seiner Aussage nach konzentriert sie sich auf Scharnierwerke, welche die Entwicklung der Skulptur entscheidend geprägt haben. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut und auf zwei Orte verteilt. Die Werke von der Nachkriegszeit bis zu den 90er Jahren sind im Neubau untergebracht, die zeitgenössische Kunst im Kunstmuseum ׀ Gegenwart. Geschickt werden die reichen Bestände des Museums mit internationalen Leihgaben zu einem sehr unterschiedlich beleuchteten Bild der Skulptur der Nachkriegszeit bis heute zusammengefasst.
Es erzählt die Geschichte der Befreiung der Skulptur von der organischen Form, die zuerst abstrahierend, wie bei Hans Arp, Alberto Giacometti, Pablo Picasso, Henry Moore, Louise Bourgeois, dann abstrakt und objekthaft mit Max Bill, Eduardo Chillida und David Smith wird. Mit Constantin Brancusi verlässt die Skulptur ihren Podest, um bei Alexander Calder schwerelos im Raum zu schweben und bei Jean Tinguely den Raum dynamisch zu erobern. Von da aus ist es nicht mehr weit zur Einbeziehung des Besuchers in das Kunstwerk wie bei Allan Kaprow oder der Performance von Yvonne Rainer mit skulpturalen Elementen von Carl Andre. Man freut sich selten gesehene, aber entscheidende Werke wie Piero Manzonis Corpo d’aria, das an Munaris Aktion Far vedere l’aria erinnert und hier der Konzeptkunst eine skulpturale Form gibt. Auf die Auseinandersetzung mit der für den Menschen unverzichtbaren Luft von Manzoni, antwortet Dieter Roth mit verwesenden Lebensmitteln als Zeichen der Vergänglichkeit und mit Living Sculptures traten die Künstler Gilbert & George selbst als lebende Skulpturen auf den Podest (hier in skulpturaler Nachbildung). Interessant ist auch die Gegenüberstellung der berühmten White Brillo Boxes von Andy Warhol, die Paul Thek für Meat Piece with Warhol Brillo Box zum Reliquiar für das Trompe-l’oeil eines blutigen Stück Fleischs umfunktioniert. Immer wieder stehen sich kontrastreich abstrakte Positionen (John Chamberlains Exciter White Shadow)) mit figurativen Installationen (Paul Theks Dwarf Parade) und Oldenburgs Pop ‘artige Einzelanfertigungen wie The Store, Mario Merz‘ Iglu Acqua scivola (iglu di vetro) – eindeutig ein Verweis auf humane Präsenz und Natur – mit Michelangelo Pistolettos Metrocubo d‘infinito, dessen bespiegelten Innenseiten einen unendlichen geometrischen Raum schaffen, und noch mit der Gegenüberstellung der amorphen Fiberglasgebilde von Eva Hesse mit Bruce Naumanns Square, Triangle, Circle auf architektonische Elemente verweisen. Man bedauert allerdings die vollkommene Absenz der französischen Künstler: Yves Kleins Chèque de sensibilité hätte wunderbar zu Manzonis Corpo d’aria gepasst, Césars Kompressionen – hydraulisch zerquetschte Autos – hätten eine radikale Alternative zu John Chamberlains aus Autotrash konstruierte Skulpturen geboten und Toni Grands Aale in Kunstharz hätten im Erdgeschoss neben Robert Gober und Peter Fischli / David Weiss eine weitere Auseinandersetzung zwischen Natur und Künstlichkeit, Mensch und Tier als Ware beigetragen. Es ist durchaus verständlich, dass ein Kurator seine eigene Sichtweise der Kunst vertritt, dennoch erstaunt es, dass faktisch alle Künstler eines Landes ausgeblendet werden. Die Minimal Art, bei der das Kunstmuseum für Donald Judd, Walter de Maria, Carl Andre, Richard Serra, Bruce Naumann auf die eigenen Bestände zurückgreifen kann, ist sehr gut vertreten und durch wichtige Exemplare der Arte Povera ergänzt, neben den schon erwähnten Michelangelo Pistoletto, Mario Merz.
In der großen Halle im Erdgeschoss sind die achtziger Jahre durch Skulpturen von nur zehn namhaften Künstlern vertreten, neben den bereits erwähnten Ray Charles, Katarina Fritsch, Isa Genzken, Felix Gonzales-Torres, Mike Kelley, Martin Kippenberger, Jeff Koons und Franz West. Diese vereinzelten Positionen allein geben allerdings kaum wirklich ein Bild der 80er Jahre, umso weniger als Franz Wests Passtücke als Erweiterungselemente des Körpers kunstgeschichtlich für die 60er Jahre relevant waren. Hier hätte ein Werk, wie etwa seine 1989 entstandene Installation, die den Besucher einbindet, TretenSie bitte hinter dem Paravent, entkleiden Sie sich und legen das Gewand auf den Sessel. Bleiben Sie circa fünf Minuten so und verhalten Sie sich nach eigenem Ermessen. Um nicht gestört zu werden, wenden Sie sich bitte vorher an den Saalwächter. Er wird andere Besucher darauf hinweisen, dass dieses Objekt besetzt ist, und sie fernhalten besser gepasst. Auch Erwin Wurm mit seinen One Minute Sculptures und Paul McCarthy hätten die getroffene Auswahl um die Rückeroberung des Körpers und der Künstlichkeit angenehm erweitert. Was ist mit Kiefer und seinen postatomaren Bleiskulpturen und Toni Cragg mit seinen Skulpturen aus Ziviisationsmüll,, was mit Bill Woodrow, Richard Deacon, Anish Kapoor?
Die neuesten, teils noch experimentellen Positionen der 90er Jahre bis heute sind im Kunstmuseum ׀ Gegenwart ausgestellt. Als Pate für diesen Teil steht Joseph Beuys, der schon unter Franz Meyer in den 70er Jahren angekauft wurde und als Vaterfigur der Demokratisierung der Kunst mit all seinen Folgen angesehen werden kann. Ein Bindeglied in die Gegenwartskunst bildet die spöttische Figur von Maurizio Cattelan, deren Titel La rivoluzione siamo noi auf Beuys anspielt. Nur ist die Revolution auch beim Künstler zum Erliegen gekommen: er hängt erschlafft in Beuys‘ Anzug am Kleiderbügel. Im Empfangsbereich stehen Werke von Absalon, Damien Hirst, Sarah Lucas, Gabriel Orozco, Rirkrit Tiravanija und Rachel Whiteread, die alle auf ihre Weise die Skulptur als Ausdruck gesellschaftlicher Lebensformen und sozialer Beziehungen auffassen, meist als Installationen, die auf den Lebensraum verweisen.
Gesamthaft betrachtet ist die Ausstellung Sculpture on the Move durchaus interessant, besonders auch im Hinblick wie eine Sammlung, in Kombination mit Leihgaben, den Ausgangspunkt für temporäre Ausstellungen bilden kann. Erwähnenswert ist der handliche Katalog mit fundierten Beiträgen und einer guten Dokumentation der einzelnen Werke. Übrigens bietet der alphabetische Online-Katalog die Grundinformationen zu den Sammlungsbeständen und ist ein wertvolles Wissenschaftsinstrumentum.
Die Präsentation der Ausstellung folgt dem chronologischen Prinzip, was vom inhaltlichen verständlich ist und auch gut ablesbar, allerdings vom Raumzuschnitt bei weitem nicht optimal ist.
Im obersten Stockwerk sind die Werke der Moderne meistens kleineren Formats sehr diversifiziert präsentiert. Neben dem schon eingangs erwähnten weichen Licht, spielt die Varietät der Sockel und Podeste und auch die lockere Aufstellung für die angenehme Wahrnehmung der Werke eine entscheidende Rolle. Die Bodenskulpturen sind auf weiße Sockel gruppiert, kleinere werden zudem auf individuelle Postamente gestellt, die sie in idealer Höhe präsentieren. Andere Podeste lehnen wie Brüstungen an der Wand, sodass man die darauf positionierten Werke im Gehen wahrnimmt. Die größeren stehen frei im Raum. Manchmal ergibt sich ein wunderschöner Durchblick ins nächste Zimmer wie mit Australia, 1951 von David Smith. Auch Objekte und Fotografien, die an der Wand hängen, wirken in der wohnlichen Atmosphäre des Neubaus sehr gut. Die locker aufgestellten Skulpturen der Pop’ Art finden sich in dieser räumlichen Atmosphäre zurecht, obwohl der Industrieparkett mit seinen – derzeit noch sehr hellen – Fugen schon dominant wirkt. Problematisch ist die Präsentation der Minimal Art. Während Carl Andre und Beuys mindestens genug Platz haben, sind in anderen Sälen Werke der Minimal Art viel zu eng aneinander gestellt. Das trifft im Saal mit Richard Long, Mario Merz, Michelangelo Pistoletto und anderen Werken sowie bei jenem mit Eva Hesse und Bruce Naumann zu. Abgesehen davon, dass man sich spätestens hier nach dem schlichten eingefärbten Betonboden des Gegenwartsmuseum sehnt, warum hat man diese Werke, die viel Platz brauchen, nicht in die große Halle im Erdgeschoss untergebracht, wo die zehn Einzelobjekte der 80er Jahre ziemlich beziehungslos und verloren da stehen. Diese hätten in kleineren Räumen wesentlich besser gepasst, sei es im Obergeschoss oder alternativ in den Räumen des Untergeschosses statt der Fotografien von Bernd und Hilla Becher und von John Baldessari. Bei aller Wertschätzung dieser exzellenten Fotokünstler sind sie für das Verständnis der Skulpturenausstellung nicht unbedingt notwendig. Es war allerdings eine Entscheidung des Direktors Teile der Sammlung innerhalb der temporären Ausstellung einzuschreben, denn im ersten Stock ergänzt eine Auswahl von Bildern der Sammlung die Skulpturenausstellung. Sie wurden so ausgewählt, dass sie das Verständnis der Skulpturenausstellung auf vielschichtige Art und Weise ergänzen; manche durch ihre Auseinandersetzung mit dem Raum, andere mit der Auflösung der Grenzen zwischen Bild und Raum oder zwischen Bild und Skulptur oder noch, weil sie eine weitere Facette einer künstlerischen Tendenz zeigen. Ein ganzer Raum ist Barnett Newman gewidmet, der die Ausstellung seiner Papierarbeiten im Kupferstichkabinett auf angenehme Weise ergänzt. Theoretisch hätte man die gesamte Ausstellung im Neubau unterbringen können, doch die Entscheidung, die neuesten Positionen im ehemaligen Industriegebäude des Kunstmuseum׀ .Gegenwart auszustellen war richtig und ermöglichte auf ganz andere Art und Weise das Zusammenspiel von Architektur und Skulptur, zum Beispiel bei Oscar Tuazon.
Zuletzt verdient das außerordentliche Engagement der Basler Bürger ein Lob, ohne welches der Erweiterungsbau des Kunstmuseums nicht möglich gewesen wäre. Damit erhält das Kunstmuseum eine ganz andere Positionierung innerhalb der Basler und der internationalen Kunstszene. Im konkreten Fall hat Maja Oehri, Präsidentin der Laurenz-Stiftung, dem Bauherr, also dem Kanton Basel-Stadt, die Kaufsumme von 30 Millionen für das Grundstück „Burghof“, auf dem der Neubau gebaut wurde, geschenkt. Sie hat auch eine 50% Beteiligung an der Finanzierung aus privater Hand garantiert. Aus der gelungenen Private-Public Partnerschaft standen somit insgesamt 130 Millionen für den Neubau und Umbau des Haupthauses zur Verfügung. Das Budget wurde strikt eingehalten, was selten genug ist, um es lobend zu erwähnen. Eine Schweizer Tugend? Die Bauarbeiten haben insgesamt dreieinhalb Jahre gedauert und das Kunstmuseum blieb ein ganzes Jahr wegen Sanierungsmaßnahmen geschlossen. Eintausend Mitarbeiter haben daran gearbeitet, sodass es am Wochenende vom 15./16. April eröffnet werden konnte. Im September wird Josef Helfenstein die Nachfolge von Mendes Bürgi antreten. Vielleicht gelingt es ihm, auch die Sammlung im restaurierten Altbau auf ganz neue Weise zu präsentieren. Viel Glück!
Danièle Perrier