Kunstkritik in der Krise

Rede zur Eröffnung des 52. Intern. AICA Kongress

Hamburger Bahnhof, 3. Oktober, 15 Uhr

Ich begrüße die Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, Frau Völckers,die Präsidentin von AICA international Lisbeth Rebollo-Goncalves, Gabriele Knapstein, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen und all unsere Gäste, Ganz herzlich heiße ich unsere Referenten und Moderatoren willkommen, die teilweise von weither angereist sind und die das Herz der Veranstaltung bilden. Sie sind gekommen um ihre Standpunkte zu vertreten, ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit uns zu teilen und die Moderatoren werden sie aus der Reserve locken, in die Tiefe bohren, vielleicht den advocatus diaboli spielen und sicher die Verbindung zum Publikum schaffen. Wir sind gespannt auf die Debatten, denen wir viel Platz eingeräumt haben. Das ist ein Wagnis und ich hoffe, dass es sich lohnen wird.

Für die AICA Deutschland ist es eine Herausforderung und zugleich eine Chance den 52. Internationalen AICA Kongress unter der Schirmherrschaft der Deutschen UNIESCO-Kommission hier in Berlin zu eröffnen. Kunstkritik in Zeiten von Populismen und Nationalismen greift ein Thema auf, das in allen Bereichen der Gesellschaft festzustellen ist. In unserer schnelllebigen Gesellschaft wird das tägliche Leben von Twitts und Slogan-artigen Kurznachrichten skandiert, deren Botschaften umso leichter zu behalten sind als sie kurz und prägnant sind. Es ist eine Binsenwahrheit, dass gewisse politische Akteure – allen voran der Präsident des Weißen Hauses– sich dieser Kommunikationsmittel bedienen, um ihre Botschaften unter das Volk zu verbreiten. Kein Wunder also, dass auch die Aktivisten der verschiedenen Kulturgruppen in ihren Identitätsdebatten ähnliche Methoden anwenden, gleich ob es um #me too, die Hautfarbe; das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, die Kultur, die Herkunft oder die Nation geht. Populistische Tendenzen, gleich welcher Couleur prägen die Medienlandschaft ebenso die Kunst- und Kuklturkritik. Und auch die Kunst bleibt da nicht verschont, ihre Autonomie wird vor allem dort Verstehen sie mich nicht falsch: ich stelle hier nicht die Legitimität dieser emotional gesteuerten Bedürfnisse in Frage, stelle aber fest, dass sie unweigerlich einen starken Impact auf die Kunst und den Umgang mit ihr haben. Das beeinflusst natürlich auch die Kunst. Ist es legitim, eine Ausstellung von Balthus abzusagen, weil seine Bilder einem unstatthaften Begehren freien Raum geben könnten? Stammt das Problem vom Künstler oder vom Betrachter? Wie können wir als Kunstkritiker in der Ambivalenz zwischen der Verteidigung der Autonomie der Kunst und ihrer sozialen Einbindung entscheiden? Was sind die Kriterien, die wir zur Beurteilung ins Feld ziehen können, oder sogar müssen? Haben Kunsthistorikerinnen wie Clare Gannaway das Recht, ein historisches Bild wie Hylas und die Nymphen, das 1896 von John William Waterhouse im Museum Machester abzuhängen, nur weil Nymphen an die Femme fatale erinnern? Zum Glück hagelte es heftig Kritik aus dem Volk, sodass es heute wieder an seinem alten Platz hängt. Die Geschichte hat den Vorteil darzustellen, dass derartige Entscheidungen von rein emotionalen Befindlichkeiten gelenkt werden. Weshalb sonst werden ethische Bewertungskriterien ins Feld gezogen, wenn eine weiße Künstlerin die Grabtragung des 1955 ermordeten William Emmett malt. Könnte der tragische, historische Fall, der leider nichts an Aktualität verloren hat, denn wieder werden schwarze Jungs willkürlich von Weißen abgeknallt nicht als Hommage angesehen werden, oder liegt es möglicherweise daran, dass das Bild in seiner abstrahierender Weise doch zu belanglos geraten ist, um als solches angesehen zu werden? Und was ist mit den Umstrittenen Filmemacher Woody Allen und Roman Polansky? Wo also und wie verläuft die Grenze zur Beschneidung künstlerischer Ausdrucksfreiheit?

Kunst ist immer wieder das Spiegelbild unserer Gesellschaft mit all ihren Spannungen und Irrungen. Sie reflektiert die aktuellen Diskussionen, derzeit besonders über die Genderproblematik, das Klima, den Rassismus und den Post-Kolonialismus, mal provokativ, mal bejahend. Seit Anbeginn des 21. Jahrhunderts hat und die Kunstszene durchaus an politischen Aktivismus gewöhnt: Christoph Schlingensief, zum Beispiel mit seiner Aktion Bitte liebt Österreich, bekannter als Ausländer raus!, die Occupy-Bewegung, zeitnaher das Zentrum für Politische Schönheit mit dem Holocaust Mahnmal Bornhagen oder noch Peng! die mit Fake ID den Besucher vor der Frage stellen, wie weit er bereit wäre, seine Identität zu teilen, um einem Flüchtling den Zugang zu Europa zu verhelfen. Solche Aktionen fordern sehr ernsthaft zum Nachdenken auf und zum Handeln. Sie sind auf Provokation angelegt und werden in der Gesellschaft auch durchaus wahrgenommen, positiv oder ablehnend. In dieser Hinsicht kann man sie mit der Klimaaktivistin Greta Thunberg vergleichen. Auch sie brüllt, dass die Politiker endlich handeln müssen und verschafft sich Gehör, mehr als die Kunstaktionen, die sich an der Grenze der Legalität bewegen und zum Ungehorsam aufrufen. Ihnen allen könnte man den Gebrauch populistischer Methoden avant la lettre attestieren. Doch merkwürdigerweise stehen nicht diese grenzsprengenden Quergeister, die ein neues ethisches Leitbild der Gesellschaft fordern und Denkmodelle dazu vorschlagen, im Focus der gegenwärtigen Kunstkritik, sondern Bilder, die vermeintlich oder auch reell gegen ethische Werte verstoßen. Im Trubel der Identitätsfindungen werden plötzlich ethische Ansprüche – ob zu Recht oder Unrecht – an historische wie zeitgenössische Kunstwerke gestellt. Gefordert wird eine revidierte Lektüre auch älterer, schon lange zum festen Kanon der Kunstgeschichte gehörender Werke, als wären wir gerade dabei, einen neuen Bildersturm zu erleben oder einen neuen Index verbotener Werke zu schreiben. In seine Dankesrede für den Erhalt des Breitbachpreises zitierte Thomas Hettcher Harald Welzer, der beschreibt, dass: Zitat „Jedes einzelne Werk primär nicht mehr auf seine künstlerische Qualität hin betrachtet wird, sondern auf die emotionale Verletzungs- und Irritationsmöglichkeit, die in ihm liegen könnten.„ Die Liste der Argumente, mit denen das Leid der Welt gegen die Autonomie der Kunst ausgespielt wird, ist lang.

Welchen Einfluss hat es auf die Kunstkritik, wenn gesinnungsstiftende moralische Werte in die Beurteilung einfließen, die per se die Autonomie der Kunst einschränken? Wie soll sie abwägen im Amalgam von gegensätzlichen Bewertungskriterien? Wie ist es um die lang erkämpfte Freiheit der Kunst bestellt, die im deutschen Grundgesetz verankert ist, wenn aus verschiedenen Seiten die Abhängung von Kunstwerken und ja sogar ihre Zerstörung gefordert werden? Hat möglicherweise die Kunstkritik selbst einen Anteil an populistischen Entscheidungen beim Umgang mit Kunst, indem sie gelegentlich dabei versagt, Bewertungskriterien zum Schutz der Werke zu definieren, die beispielsweise im Kontext ihrer historischen Entstehung liegen? Wie wär‘s, wenn man den Rat von Frederic Bussmann, Generaldirektor der Kunstsammlungen Chemnitz folgen würde, wie er es im Septemberheft von Monopol kurz und bündig formuliert „Die arbeit des Kunsthistorikers: Den Kontext ausblenden, sich mit den Werken selbst beschftigen, fragen, was man siehtm, vor sich hat“ und mit Thomas Hettche vielleicht wieder behaupten, dass „nur Wahrhaftigkeit in der Wahrnehmung zur Qualität führt“?

Selbstkritisch gilt es zu fragen, ob es die Kunstkritik noch wagt, differenzierte Orientierungsmerkmale anzubieten. Der Durchbruch der Social Media hat schwerwiegende Folgen auch für das Berufsbild des Kunstkritikers. Allzu sehr haben sich Leser weltweit an kurze, aktuelle und schnell zu konsumierende Texte gewöhnt. Vor dem Hintergrund der elektronischen Distribution hält der Auflagenschwund gedruckter Medien weiter dramatisch an, was Verlage in immer stärkere Abhängigkeit vom Anzeigengeschäft und von einem vermeintlichen Zeitgeist knapper Inhalte bringt. Anzeigen werden im Kulturbereich zu einem Gutteil von Museen geschaltet, die sich als Gegenleistung wohl eine eher positive Berichterstattung erhofft.

Verleger legen daher – in allen Sparten – immer weniger Wert auf anspruchsvolle Feuilletons und kritische Kulturberichte, mit der Folge, dass der Kulturjournalismus seit Jahren ums schiere Überleben kämpft. Nur wenige Journalisten haben heute noch das Privileg einer soliden Festanstellung – als Garant für Meinungsfreiheit. Die Freischaffenden sind gezwungen, an Akademien zu lehren, als Kuratoren oder Autoren für Museumskataloge zu arbeiten. Das wiederum beeinträchtigt sehr wesentlich eine freie, kritische Berichterstattung.

Auch die AICA ist von dieser Entwicklung betroffen: Es gibt nur noch wenige wirkliche Kulturredakteure in unseren Reihen. Unsere Aufgabe ist es daher, gemeinsam den Dialog einzuleiten, die Probleme mit Nachdruck zu benennen und für eine freie Kunstkritik ins Feld zu ziehen. Genau das wollen wir mit unserem Kongress. Es werden die verschiedensten Stimmen zu Wort kommen, zum Teil sehr gegensätzlicher Natur. Wir hegen die Hoffnung, dass die Gespräche von Neugier geprägt und im Respekt der Unterschiede geführt werden, sich selbst treu und den anderen gegenüber aufgeschlossen, um vorurteilsfrei Möglichkeiten des Verständnis‘ auszuloten, in Anerkennung und Akzeptanz der Differenzen. Mit anderen Worten wollen wir im Sinne von François Jullien, der den Spagat versucht zwischen der Französischen Philosophie und der Chinesischen eine Brücke zu bauen, uns auf dem Weg der Begegnung begeben, eine andere Form des Universellen erfinden, da seine humanistische Auslegung offensichtlich an Wertigkeit verloren hat.

Ansätze zu Neubewertungen scheinen sich abzuzeichnen. Als solche werte ich den Leitartikel im Septemberheft von Monopol, der sich der Neubewertung der Ost-Deutschen Kunst, deren Akzeptanz im Westen doch sehr eingeschränkt war. S. Leitartikel „Neues Deutschland – Ost gegen West, Global gegen Lokal: Welche Rolle spielt die Kunst?

Auch die AICa überprüft mit ihrem Eintrittsvortrag von Jacques Leenhardt die Situation der AICA zur Zeit der Wiedervereinigung, was aus heutiger Sicht vielleicht ebenfalls einer Neubewertung verdienen würde.

Ich möchte mit diese Betrachtungen mit der Projektion einer ephemären Installation von Thomas Steina enden. Es handelt sich um ein Gebet des Künstlers an den Kurator, der auf der Basis des Vater Unser der Christen basiert und die Abhängigkeitsverhältnisse mit einem humorvollen Sarkasmus darstellt. Es wurde auf die Glasfassade des Museion in Bolzano in einer Nacht und Nebelaktion projiziert, gerade lang genug um sie als Bild zu verewigen: ich erlaube mir den Text zu lesen.


Kongress Logo Gestaltung Studio 069

Thomas Sterna, Kurator unser Projektion auf der Fassade des Museion, Bolzano


KURATOR UNSER,
DER DU SITZT IN DER JURY,
GEPRIESEN SEI DEIN NAME,
DEINE DOCUMENTA KOMME,
DEINE AUSWAHL BESTEHE,
WIE AUF DEN BIENNALEN,
SO AUCH IN DEN MUSEEN.
UNSER STIPENDIUM SCHENK UNS HEUTE,
UND VERGIB UNS UNSERE ZWEIFEL AN DIR,
WIE AUCH WIR DIR DEINE ZWEIFEL AN UNS VERGEBEN.
UND FÜHRE UNS NICHT AUF DIE MESSEN,
SONDERN ERLÖSE UNS VON DER PROFITGIER DER SAMMLER.
DENN DEIN IST DIE KUNST UND DIE MACHT,
UND DIE AUFMERKSAMKEIT,
IN EWIGKEIT.
AMEN.
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Das kann auf den Kritiker, der die documenta, Biennalen und Messen bespricht leicht übertragen werden. Ich hoffe, dass Sie alle genug Humor und Gelassenheit haben, um diesen Seitenhieb eines Künstlers zu ertragen. Wer Lust hat, kann den Künstler selbst ansprechen. Thomas Sterna ist hier anwesend.

Dieses Gebet wäre ein dankbar pointierter Abschluss, doch möchte ich, bevor ich das Wort an Jacques Leenhardt übergebe, doch noch alle erwähnen, denen besonderer DANK gebührt.

Dieser Kongress wäre ohne die großzügige Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes als Kooperationspartner niemals zustande gekommen. Dafür will ich Frau Völckers sehr herzlich danken und mit ihr auch Frau Tappe-Hornbostel, die das Projekt seit Anbeginn begleitet hat. Dank gebührt auch der Bundeszentrale für politische Bildung, die das Panel zur Zensur finanziert und der Stifterin der Kai 10 /Athena Foundation, Frau Schnetkamp, für das - wie ich finde - sehr attraktive Booklet mit den Abstracts der Referenten, dass Sie, meine Damen und Herren, als Teilnehmer des Kongresses im Kulturbeutel (???) gefunden haben. Auch Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie und Gabriele Knapstein, Direktorin des Hamburger Bahnhofs sagen wir ein herzliches Dankeschön, dass wir die Eröffnung des Kongresses hier durchführen können. Er findet seine Fortsetzung ab morgen in der Berlinischen Galerie, wo wir bei Direktor Thomas Köhler und der Kommunikationsleiterin Christiane Friedrich ein offenes Ohr fanden. Wir werden heute Abend im Palais Populaire empfangen. Dafür danke ich Herrn Friedhelm Hütte und Herrn Thomas Strauß sehr herzlich sowie allen Institutionen und Galerien, die uns während des Post-Kongress‘ ihre Türen öffnen. Die Liste ist lang und ich bitte um Verständnis, dass ich sie nicht alle nenne, aber eines kann ich jedenfalls sagen, dass wir nämlich genau ihretwegen nach Berlin gekommen sind.

Nun wird mein Dank viel persönlicher, denn er geht an alle, die mit mir zusammen diesen Kongress ehrenamtlich konzipiert und organisiert haben. Das ist im Vorstand Ellen Wagner, Schatzmeisterin, die mit mir die gesamte Organisation überwacht und noch die Redaktion des Begleithefts betreut, Uta M. Reindl, Vize-Präsidentin, die rastlos und mit viel Liebe die beiden Tagungstage in Köln vorbereitet und das Programm rund herum entwickelt hat sowie Sabine Maria Schmidt, Vize-Präsidentin, die zusammen mit Gerd Korinthenberg die Presse- und Textarbeit übernommen hat. Danken möchte ich auch unserem Kongressteam, Julia-Constanze Dissel, Jörg Heiser, Bernhard Serexhe und aus dem Ausland Liam Kelly und Maria-Terttu Kivirinta, die bei der Entwicklung des Themas und der Auswahl der Referenten, die auf das Call for Paper reagiert haben, den Vorstand unterstützt haben und überall dort tätig sind, wo wir Hilfe brauchen.

Auch den Mitarbeitern bei der Organisation und praktischer Umsetzung sei namentlich gedankt: Mabel Aschenneller für die Gesamtkoordination der Räume, der Technik, des Caterings und der Buslogistik. Konstanty Szydlowski sei Dank für die Koordination aller Teilnehmer und mit Elisa Rusca für die Organisation des Post-Kongresses,
Julia-Constanze Dissel, Uta M. Reindl und Teobaldo Lagos-Preller für die Übersetzungen.
Ich danke meinen Mann Rolf Weber als Admin und IT Berater und auch für seine Unterstützung bei der Sponsorensuche. Und last but not least geht mein Dank an Felix Kosok für die sehr gelungene Corporate Identity und die angenehme Zusammenarbeit.

Abschließend möchte ich alle Kongressteilnehmer nochmals aufs herzlichste willkommen heißen und hoffe, dass Sie sich rege an den Diskussionen beteiligen werden.


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