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Die kinetische Kunst

Einleitung
„Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht“ verkündete Tinguely 1959 in seinem Manifest „Für Statik“. In der Tat war Denise René, als sie 1955 die Ausstellung mit dem programmatischen Titel „Le Mouvement“ organisierte dieser Idee zuvorgekommen und hatte ihre Galerie rue la Boétie mit Leben erfüllt. Unter den acht eingeladenen Künstlern waren Marcel Duchamp und Alexander Calder, Victor Vasarely, Robert Jacobsen und jüngere, damals zum Teil noch unbekannte Künstler, wie Iaacov Agam, Pol Bury, Jesús Rafael Soto und Jean Tinguely. Ihre Objekte besetzten den Raum, sie bewegten sich, ließen sich bewegen oder forderten den Betrachter auf, sich zu bewegen. Roto-Reliefs, Meta-matics, Mobiles und veränderbare Reliefs sorgten für heitere und humorvolle Stimmung. Mit dieser Ausstellung verhalf Denise René der kinetischen Kunst zum Durchbruch. Zahlreiche spätere Ausstellungen folgten und die kinetischen Künstler verbündeten sich und gründeten Gruppen, wie jene der Op‘Art unter der Federführung von Vasarely und der Gruppe GRAV (Groupe de Recherche d‘Art Visuel), der François Morellet als prominentester Franzose angehörte. Im Gegensatz zu den Op‘Art Künstlern, die sich mit optischen Illusionen im Bild befassten, gestalteten die Mitglieder vom GRAV dreidimensionale Objekte sowie Environments. Sie ersetzten die Leinwand durch neue Materialien wie Plexiglas, Neon und Aluminium, die Transparenz, Licht und Reflexe als gestalterische Mittel zuließen. In Italien war es die Arte programmata sistematizzata, in Deutschland die Gruppe Zero, nicht zu sprechen von der Technological art, mit Rauschenberg als Hauptvertreter und schließlich die Prozesskunst mit David Medalla, der die Technik im Dienste von Wachstumsprozessen einsetzt.

Die Vielzahl an Künstlern aus aller Welt, die sich der Bewegung anschlossen und die Weitläufigkeit ihrer optischen Experimente, die teilweise in reinen Spielereien mündeten und zum Selbstzweck wurden, führten dazu, dass diese Kunstrichtung oft als modische Erscheinung angesehen wird und als veraltet gilt.

Was ist kinetische Kunst?
Versucht man aus heutiger Sicht den Bereich der Kinetik abzustecken, so bietet sich ein vielfältiges Angebot an Interpretationen, die ein verwirrendes Bild hinterlassen. Dies liegt daran, dass kinetische Effekte auf verschiedene Art und Weise erzeugt werden und die Werke selbst unterschiedliche Ziele verfolgen. Manche bewegen sich, andere lassen sich bewegen und noch andere fordern den Betrachter auf, sich zu bewegen.
Jene die sich selbständig bewegen, werden durch ein Naturelement oder durch einen Motor angetrieben. (Man denke an die im Wind wirbelnden Mobiles von Alexander Calder und an die im Rhythmus des Wassers schwimmende Fontäne von Pol Bury, oder aber an die motorisch hin ratternden Objekten von Jean Tinguely). Als Folge der technischen Weiterentwicklung können die kinetischen Objekte auch elektronisch gesteuert werden, wie CYSP von Nicolas Schöffer. Sie nehmen die Gestalt von Menschen und Tieren an, wie die berühmten Automaten von Jacquet-Droz und Vaucanson aus dem 18. Jh, oder es sind abstrakte Konstrukte, wie Duchamps „Demi-Sphère rotative“. Sie übernehmen eine mimetische Funktion – Rebecca Horns „Pfauenmaschine“ - oder erheben die Bewegung zum eigentlichen Gegenstand der Darstellung – Naum Gabos „Kinetische Konstruktion“. In diesem Bereich kommt Licht als ein weiteres Gestaltungsinstrument oft ins Spiel, verklärend wie bei den Protagonisten der Gruppe Zero [Mack, Uecker], nüchtern wie bei François Morellet oder raumdurchflutend wie bei Schöffers kybernetischem Turm in Lüttich.

Die Gruppe jener Werke, die sich bewegen lassen, geben zunächst den Eindruck eines statischen Werkes. Die einzelnen Teile sind allerdings mobil und können vom Betrachter verschoben werden. Die Bewegung ist hier Mittel zum Zweck, um eine Veränderung in das Kunstwerk einzuführen. Die Veränderung führt zu einem neuen Blickwinkel, der wiederum statisch ist. Je nach Beschaffenheit des Kunstwerks können wenige oder viele Positionen eingenommen werden. In manchen Fällen kann die ursprüngliche Kombination nicht mehr genau wieder eingestellt werden. Spiel und Zufall sind hier bestimmende Kriterien, wobei es immer auf die aktive Beteiligung des Betrachters ankommt. Wie bei einem Spiel legt der Künstler die Regeln fest; der Betrachter wird durch den spielerischen Umgang mit dem Werk zum Mitgestalter. Zu den Vorreitern dieser Gattung gehören Iaacov Agam und Karl Gerstner.

Bei der dritten Kategorie ist das Kunstwerk statisch und kann nicht umgestaltet werden. Es ist allerdings so beschaffen, dass es dem vorbei schreitenden Betrachter je nach Standpunkt verschiedene Wahrnehmungsmöglichkeiten bietet. Die Variationsmöglichkeiten sind gering und hängen hauptsächlich vom Verhalten des Betrachters ab, ob er schnell oder langsam vorbei geht, von welcher Seite er kommt und in welcher Augenhöhe ihm das Kunstwerk begegnet. Man kann sagen, dass die Bewegung bei diesen Werken als Blickfang funktioniert. Sie greift auf das alte Prinzip des Vexierbildes zurück und zeigt Verwandtschaft mit den Werken der Op’Art, die auf die reine retinale Irritation beruhen. In beiden Fällen fällt es schwer das Bild zu fixieren: bei den Op’Art Bildern wegen der Farb- und Form Zusammensetzung, bei den kinetischen Arbeiten, weil die geringste Bewegung eine Veränderung nach sich zieht, die Labilität in das Erscheinungsbild bringt. Zu diesem Typus gehören die „Konstellationen“ von Rodtschenko und Werke wie „Sorata-T“ von Victor Vasarely, der nicht zufällig auch der Gründer der Op’Art ist.

Die Entwicklung der beweglichen Skulptur
Von der Mimesis des Menschen: Die Automaten
Der Versuch, die kinetische Kunst zeitlich einzuordnen, hängt von der Definition derselben ab. Wird sie im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Wortes „Kinetik“ als die Lehre von den Bewegungen unter dem Einfluss innerer oder äußerer Kräfte verstanden, so wird man die kinetische Kunst mit Pontus Húlten als eine Geschichte der mechanisch oder motorisch bewegten Skulptur ansehen. In diesem erweiterten Sinn, geht Kinetik auf das hellenistische Griechenland zurück. Heron von Alexandria beschreibt in seinem „Traktat über Mechanik“ wie Automaten, auf Rädern fixiert und von einem Schienensystem geleitet, als Akteure in religiösen Theaterstücken auftraten. Damals stand die Technik im Dienste des Phantastischen, des Magischen. Sie erlaubte die Metamorphose von einfachen Statuen zu agierenden Göttern, die der Gedankenwelt der Mythen und Legenden entsprangen. Pygmalions Galatea konnte auf der Bühne zum Leben erweckt werden. Diese Tradition fand in den Theateraufführungen des Mittelalters und vor allem des Barocks eine Fortsetzung. Aus dieser Welt des Phantastischen stammt auch der im 19. Jahrhundert geprägte Ausdruck „deus ex machina“, mit dem man den glücklichen Ausgang eines Stückes bezeichnet. Er steht aber auch Pate für alle Darstellungen des Phantastischen in Filmen wie Die Schöne und das Biest von Jean Cocteau und in den zeitgenössischen virtuellen Realitäten wie Narziss von Monika Fleischmann. Die hier erwähnten Beispiele zeigen, dass die kinetische Kunst, wenn sie im Sinne der beweglichen Skulptur interpretiert wird, von der Entwicklung der technischen Errungenschaften zeugt. In diesem Zusammenhang sei erinnert, dass bei den alten Griechen Kunst als „Technè“ bezeichnet wurde, woraus sich auch das Wort Technik ableiten lässt. Damit wurde der Akzent auf das <wie> und auf das <gut> Machen gelegt. Kunst hatte also mit Kunstfertigkeit zu tun, eine Ansicht, die auch noch in der Renaissance weiter lebte. Damals wurden die Automaten nicht nur der prunkvollen Ausstattung wegen bewundert, sondern wegen der technischen Fertigkeit. Von berühmten Goldschmieden geschaffen, hatten sie einen Ehrenplatz in den Kunst- und Wunderkammern, wie jener Tischautomat aus dem Jahre 1585, der am Hof Rudolfs II. in Prag, „als Schiff nicht nur ruderte, sondern an Bord auch Musiker hatte, die in trompeteten, trommelten und paukten“. Eine hybride Fortsetzung dieser Automaten waren die musizierenden Androiden des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Besonders berühmt war der „Flötenspieler“ von Vaucanson, der mit einem Atemsystem ausgestattet war, das ihm die einwandfreie Wiedergabe eines Musikstückes erlaubte. Von wissenschaftlichem Interesse am menschlichen Organismus getragen, versuchte Vaucanson sogar ein Venensystem aus Kautschuk zu fertigen, das die Zirkulation einer Blut ähnlichen Flüssigkeit ermöglichen sollte. Wie die Orgelspielerin der Automatenfamilie von Pierre Jacquet-Droz zeigt, glichen diese Automaten, die modische Roben aus Stoff trugen, eher kostspieligen Puppen als Kunstwerken. Ihr primäres Anliegen war es, die Funktionen des menschlichen Organismus zu imitieren, in der Absicht deren Mechanismen zu entlarven. In dieser Hinsicht sind sie Kinder der Aufklärung und veranschaulichen den philosophischen Materialismus, wie von La Mettrie 1747 im Roman „L’Homme Machine“ beschrieben. Darin verglich er die Funktion des menschlichen Organismus mit der Funktionalität einer Maschine, was ein Skandal auslöste. Obwohl in der Belle époque Nachzügler der Automaten entstanden, verloren die Automaten, mit dem Zusammenbruch der Monarchie ihre Rolle als Vorreiter der Innovationen. In einer zunehmend von der Industrie bestimmten Gesellschaft gewann die These des Funktionalismus überhand, was in Zusammenhang mit der Entwicklung der Kinetik um 1860 dazu führte, dass die Motorik der Bewegung selbst erforscht wurde.

Das Interesse am Mechanismus der Bewegung
Die Vorläufer: Fotografische Wiedergabe und Darstellung von Bewegung im Bild
Grundlegend waren in dieser Hinsicht die Ermittlungen von drei Wissenschaftlern, die nicht nur ihr Interesse an den Mechanismus der Bewegung teilten, sondern - um deren photographische Wiedergabe bemüht -, revolutionierende Techniken des Photographierens entwickelten: Es waren der Franzose Etienne Jules Marey, der Engländer Eadweard Muybridge und der Amerikaner Frank B. Gilbreth. Marey entwickelte Geräte zur Messung der Flügelspanne und der Flugbewegungen von Vögeln und erstellte Diagramme von Muskelbewegungen. Er dokumentierte seine Erlebnisse durch zahlreiche Zeichnungen, Chronophotographien
und sogar einer Bronzeplastik, die alle Stadien des Fluges einer Seemöwe darstellt. Mareys rein wissenschaftliche Dokumentationsphotographien, welche die verschiedenen Phasen einer Bewegung in einem einzigen Bild darstellen, weckten das Interesse der Futuristen, die davon träumten das Rauschen der Motoren, das energetische Potential der Maschinen und die Geschwindigkeit der vorbei rasenden Automobile des Industriezeitalters in ihren Bildern einzufangen. Um dieses Ziel bemüht, stellten auch sie die verschiedenen Phasen des Bewegungsablaufs dar, was in Giacomo Ballàs „La mano del vilonista o ritmi del violonista“ von 1912 zum Ausdruck kommt. Indem Ballà den Arm des Geigers in den verschiedenen Positionen darstellt, die zur Interpretation eines Musikstückes notwendig sind, verbildlicht er, mit dem Ablauf einer Bewegung, eine bestimmte Zeitspanne und führt damit den Begriff der Dauer ins Bild ein. Ganz andere Ziele verfolgte Duchamp in seinem Nu descendant un escalier von 1912. Auch er bediente sich der futuristischen, sequenziellen Gestaltungsweise, reduzierte aber die Figur des herab schreitenden Aktes auf kubistische Formen. Fast abstrakt, dennoch figurativ, ist dieser ganz auf den Mechanismus des Hinabschreitens konzentriert. Nicht die Dauer, sondern die Motorik der Bewegung an sich ist hier thematisiert.

In dieser Hinsicht lässt sich Duchamps Nu descendant un escalier mit den kurz davor erfundenen Zyklogrammen von Gilbreth vergleichen. Im Zuge seiner Forschungen für die Industrie, war dieser bemüht, die Optimierung der Bewegungsabläufe für die Fließbandarbeit zu erfassen und darzustellen. Anstatt eine in sich geschlossenen Folge zusammengehörender Vorgänge graphisch darzustellen, ließ er die Bewegungsabläufe von einer Hand, die eine Lampe hielt, im Dunkeln ausführen. Indem sie eine weiße Lichtspur hinterließ, zeichnete sie ein abstraktes Liniengefüge, das ein klar ablesbares Diagramm ergab. Gilbreth war es damit gelungen, die Raum – Zeit – Dimension einer Bewegung ins Objektiv einzufangen. Man konnte dem Bewegungsablauf, der die Form eines abstrakten Bildes annahm, optisch folgen. Noch blieb das Bild selbst statisch.


Muybridge wagte einen Schritt mehr in Richtung der reellen Bewegung. Wie Marey photographierte er die verschiedenen Phasen einer Bewegung, mit dem Unterschied, dass er die aufeinanderfolgenden Bewegungen durch eine Reihe sequenzieller Aufnahmen dokumentierte. In einem Stroboskop gestellt, gaben sie, durch die schnelle Drehung, den Eindruck einer kontinuierlichen Bewegung. Somit war im Kleinen der Effekt eines Filmstreifens erreicht und reelle Bewegung sichtbar.

Der Schritt zur Abstraktion:
Skulpturen als Definition von Raum und Zeit
'Précision optique“.Mit seinem 1913 entstandenen Ready-made „Roue de bicyclette“ verließ Duchamp die Darstellung der Bewegung für die ‚wirkliche Bewegung‘. Aber schon sein erstes, bewegbares Objekt zeigte, dass die reelle Bewegung nicht der Selbstdarstellung dient. Die reelle Drehung der Speichen erzeugt eine optische Wirkung, die ein ganz anderes, immaterielles ‚Bild‘ entstehen lässt. Dieses Scheinbild erweckt die Vorstellung von Geschwindigkeit. Damit knüpfte Duchamp einmal mehr an die futuristischen Bildinhalte an. Indem er die Thematik der Geschwindigkeit in die Ebene der Realität versetzte, und – wie schon seinen Nu – von jeglichen narrativen Zügen bereinigte, erfährt die Thematik eine inhaltliche Konzentration auf den abstrakten Begriff der Geschwindigkeit. Diese steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der reellen Bewegung des Objektes, die hier manuell durch den Betrachter erzeugt wird. Demi-sphère rotative (Abb. 1) hingegen wurde mit einem Motor ausgestattet, der eine Halbkugel mit einer aufgezeichneten Spirale zum Drehen bringt. Durch die Geschwindigkeit der rotierenden Scheibe nimmt das abstrakte Muster Form an, eine Form, die Tiefe erzeugt und damit einen fiktiven optischen Raum. Was Duchamp damit intendierte, geht aus dem Sammelbegriff hervor, unter dem er diese Werkgruppe zusammenfasste, nämlich Précision optique, was sinngemäß mit ‘durch die Optik auf den Punkt gebracht’ übersetzt werden kann. Im Gegensatz zu Gilbreth, der einen Bewegungsablauf in seiner Raum - Zeit - Dimension zum Motiv seiner Aufnahmen machte, benutzte Duchamp die Bewegung ausschließlich um einen ‘Raum’ zu produzieren, der optisch nur solange wahrnehmbar ist, wie die Bewegung anhält. Nicht die Darstellung des Zeitablaufs einer bestimmten Bewegung steht hier im Vordergrund, sondern der Begriff der Zeit an sich ist Thema der Darstellung, als reiner ‘Zeitraum’, der von jeglicher Vorstellung einer Handlung losgelöst ist. Der Zeitraum verquickt sich mit der effektiven Laufzeit des Motors des Objektes.

Der kinetische Rhythmus Zu den Pionieren der kinetischen Kunst im Sinne der Darstellung der Beziehungen von Raum und Zeit gehören zweifelsohne Naum Gabo und sein Bruder Anton Pevsner, die 1920 das „Manifeste Réaliste“ gemeinsam verfassten. Darin schrieben sie: „Wir bejahen mit dieser Kunst ein neues Element, den des kinetischen Rhythmus als Grundform unserer Wahrnehmung von der reellen Zeit“. Was damit gemeint ist, zeigt die Kinetische Konstruktion, auch Standing Wave (Abb.2) genannt, die Naum Gabo um 1919/20 gestaltete. Das Objekt besteht aus einer Drahtnadel, die vertikal auf einem Sockel montiert ist und von einem darin versteckten Motor angetrieben wird. Durch das rasche Drehen wird eine Stehende Welle erzeugt, sozusagen eine virtuelle Plastik, die einen Volumen umschreibt. „Erfahren wird [dadurch] der Fluss des ständigen Werdens und des ständigen Sicherhaltens einer Stehenden Welle. Das ist die Handlung des kinetischen Rhythmus, die der erscheinenden Form ihre eigene Zeitdauer gibt, hinter der die reale Zeit zerrinnt“. Bei Gabo wie bei Duchamp handelt es sich um die Beziehung von zeitbezogenen Erscheinungsbildern. Während sich bei Duchamp die Mitte der hemisphärischen Skulptur zu einem Hohlraum aushöhlt, greift Gabos plastische Form in den reellen Raum ein. Es entsteht eine Durchdringung, wobei die immaterielle Plastik einen bestimmten Raumabschnitt eingrenzt und für sich in Anspruch nimmt.

Der Bewegungsraum
Nicht die Durchdringung des plastischen Körpers und des Raumes, sondern Raum als ‘Bewegungsraum’ (espace d‘évolution) bildete den Ausgangspunkt von Calders Überlegungen, der als Maschineningenieur ausgebildet, 1932 seine ersten, von einem Motor angetriebenen Gebilden ausstellte. Duchamp gab ihnen den Namen Mobile, denn das bunte Universum von Kreisen, Spiralen, Stäben und surrealistischen Formen bewegte sich kontinuierlich und erforschte den ihm bemessenen Raum. Seine Mobiles sollten im Kleinen zugleich den schwebenden Zustand der Materie im All und die Interdependenz der einzelnen Planeten untereinander darstellen. Sie sollten die Gesetzmäßigkeit der Beziehungen zwischen verschiedenen Elementen, die für das Auge kaum wahrnehmbar sind - und dennoch stattfinden -, veranschaulichen. Daher missfiel ihm auf Dauer die Idee, seine Mobiles den Gesetzmäßigkeiten eines Motors zu unterwerfen und ihre Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten Bewegungsablauf einzuschränken. Er gab die Motoren auf und konstruierte Gebilde, die auf den Gesetzmäßigkeiten von Einsteins Relativitätstheorie, nach der Masse und Energie im Gleichgewicht stehen, fundieren. Bunt wie ein Paradiesvogel und schwerelos schwebten sie in der Luft, vibrierten beim leisesten Lüftchen, tanzten, wirbelten, wippten bei der geringsten Berührung. Diese fragilen Gebilde setzten Zeichen, poetische Akzentuierungen im Raum.
Die Photographien von Herbert Matter dokumentieren die Eigenwilligkeit der Bewegungen, mit der ein und dasselbe Mobile den Raum als Bewegungsraum, oder auch als Raumvolumen, unter der Einwirkung äußerer Gegebenheiten, immer wieder neu definiert. „So wie man Farbe oder Formen komponieren kann, kann man auch Bewegungen komponieren“, sagte Calder und gab, vielleicht ohne es zu wissen ein lebendiges Bild von Einsteins Definition der Wissenschaft als eine ständige Umstrukturierung der bestimmenden Prinzipien (principes directeurs) unseres Wissens.


Als Zwischenraum
1930, also scheinbar noch vor Calder und unabhängig von ihm schuf Bruno Munari ebenfalls eine hängende, bewegliche Skulptur, die er macchina aerea, zu Deutsch Luftmaschine nannte. Aus diesem Einzelstück entwickelte er 1934 die ersten hängenden Macchine inutile, auf Deutsch unnütze Maschinen, die aus leichten Materialien beschaffen, eine optimale Mobilität garantierten. Im Unterschied zu Calders Mobiles, die einen organischen Bewegungsablauf vollzogen, gaben die einzelnen Teile von Munaris Macchine inutile vor, sich autonom und willkürlich zu bewegen, sich ständig zu neuen Formen zu verbinden und immer andere ‘Bilder’ im Raum zu malen. Munari wollte nicht wie Calder ‚Bewegungen komponieren‘, sondern die Bewegung als Gestaltungsmittel einsetzen. Nicht umsonst bezeichnete Munari diese bescheidenen Gebilde als ‚Maschinen‘. Damit betonte er ihre Objekthaftigkeit, ihre Manipulierbarkeit und ihren Einsatz als Instrumente, dessen Aktivität von außen gesteuert wird. Von der Luft angetrieben, produzierten seine Macchine inutile bewegte Schatten auf der Wand. In diesem ironischen Zwiegespräch zwischen dem hängenden Objekt und seinem Schatten, sah Munari die Möglichkeit, die Luft als Zwischenraum sichtbar werden zu lassen. Die Luft wurde zur messbaren Einheit.

Raum modulieren
Moholy-Nagy, der zwischen 1923 – 28 die Metallklasse am Bauhaus inne hatte, entwickelte eine Skulptur, die als Werkzeug zur Aufführung eines Schattenballetts eingesetzt werden konnte: das Lichtrequisit. Im Gegensatz zu den zarten macchine inutile von Munari, ist das Lichtrequisit eine repräsentative, konstruktivistische Plastik aus blank polierten Metallteilen und transparenten Glasscheiben, auf deren Flächen sich das Licht fängt. Damit wird ein neues Element als Gestaltungsmittel eingesetzt: Licht. Dieses Licht unterstreicht nicht nur den Eindruck von kühler Immaterialität, sondern lässt die glänzenden Aluminiumteile als reflexive Spiegel funktionieren. Auf einer, durch einen Motor angetriebenen Basis montiert, projiziert das
Lichtrequisit mit seinen beweglichen Teilen Schattenspiele an die Wand, die ein abstraktes, mechanisches Ballett aufführen. Moholy-Nagy legte offensichtlich einen großen Wert auf das spielerische Schattenspiel, denn er dokumentierte es durch einen Kurzfilm, das als eigenständiges Werk anzusehen ist. Die Skulptur selbst kann einerseits als Miniaturtheater angesehen werden, der seinen mechanischen Protagonisten eine Bühne bietet; andererseits agiert es als Malmaschine, die ein immaterielles, bewegtes Bild abstrakter Formen in den Raum zeichnet. Während Pevsner und Gabo durch das Einbeziehen virtueller Volumina die Skulptur in ihrer plastischen Erscheinung neu definierten, greift Moholy-Nagys Lichtrequisit außerhalb der eigenen Grenzen und strukturiert den umgebenden Raum. Dies erklärt warum das Lichtrequisit auf Englisch den Namen „Space Modulator“ erhielt.


Es ist wohl kaum ein Zufall, dass ein anderer Ungar, Nicolas Schöffer, der 1936 nach Paris gekommen war und zuerst im Bann des automatischen Surrealismus stand, seine ersten spatiodynamischen Versuche 1947 durchführte, zum Zeitpunkt also, als Moholy-Nagy „Vision in Motion“ publizierte. Auch seine Skulpturen bestehen aus Metallgerippen, deren Leisten und Rundstäbe geometrisch angeordnet sind. Mit ausgeschnittenen, durchsiebten oder auf Hochglanz polierten Aluminiumplatten und bunten Kunststoffteilen versehen, wirken sie wie in die dritte Dimension projizierte, konstruktivistische Bilder. Durch das Spiel des Lichtes und der Reflexe, werden Strahlen in den Raum abgegeben. Malen im Raum war ein wichtiges Anliegen Schöffers, mit dem er sich zeitlebens befasste. Was Moholy-Nagy im Kleinen machte, nimmt bei Schöffer Ausmaßen an, die nicht nur einen Raum füllen, sondern den Himmel als Leinwand nehmen. Dies führte zu einem weiteren Schritt in die Geschichte der Beweglichen Skulptur, nämlich zur Interaktion.

Von der agierenden zur interaktiven Skulptur
Nicolas Schöffers Kybernetische und Spatiodynamische Türme in St. Cloud (1954) und Lüttich (1961) sind imstande konkrete Musikstücke von Pierre Henry, respektive von Henry Pousseur zu interpretieren, ja sogar zu variieren und Lichtbilder im Raum zu malen. Mit einem Elektronenhirn ausgestattet - welches Informationen von photoelektrischen Zellen für das Licht, von Mikrophonen für die Geräusche und noch von Wärmemesser, Hygrometer und Windmesser erhält, agieren und reagieren die Türme, - und dies ist entscheidend neu und von großer Tragweite - im Unterschied zu herkömmlichen Robotern, auf die äußeren Umstände ihres Umfeldes. Sie entwickeln immer neue Klangfolgen und Bilder nach den ihnen aufgegebenen Direktiven. Diese Monumentalskulpturen sind multimedial veranlagt und dienen nur dem Ziel, das Immaterielle zu modellieren: Raum, Licht, Zeit. Seine luminodynamischen Arbeiten produzieren informelle Farbbilder im Freien oder auch auf riesige Leinwände, wie das Musiscop Lux 2, das beim Orgelspielen automatische Zeichnungen in neue Dimensionen umsetzt. Es schließt somit an die Lichtorgel des 19. Jh. an. Die neuesten technischen Errungenschaften, die hier zu künstlerischen Zwecken eingesetzt wurden, gehören seit langem zur standardmäßigen Ausrüstung einer respektablen Diskothek. Bedeutend ist eine andere Sache, nämlich die Tatsache, dass die Intervention des Menschen Einfluss auf die Gestaltung des Werkes ausübt. In dieser Hinsicht spielt CYSP, eine kybernetische spatiodynamische Skulptur, die als Gegenpart zu Akteuren und Tänzern auf der Bühne auftritt eine wesentliche Rolle. CYSP I (Abb.3) machte ihr Rollendebüt als Tänzer 1956 beim Festival d’Avant-Garde in Marseille, wo es als Partner der Ballettruppe von Maurice Béjart bei der Aufführung von Cantate expérimentale mitwirkte. Somit steht CYSP I in der Tradition der Theatermaschinen der Antike, wie von Heron von Alexandria geschildert. Anstatt der versöhnenden Götter tritt hier eine nüchterne, unmenschliche Gestalt auf, die eher an Orwells Roman „1984“ erinnert als an das Glück des Olymps. Obwohl abstrakt, wie die meisten kinetischen Arbeiten aus den 50er und frühen 60er Jahren, kündigt CYSP I bereits die brisante Frage der Beziehung Roboter – Mensch an. Nur wenig später wird Nam June Paik einen kleinen Roboter durch die Straßen von New York spazieren führen und somit auf die wachsende Bedeutung des Computers als Ersatz des Menschen hinweisen.

Ein kritischer Blick auf die Maschine
Schon Jahre zuvor hatte Munari die Bedrohung des Menschen durch die Maschine gesehen und die Rolle der Maschine kritisch hinterfragt. Als Erbe der Futuristen war er sich der Bedeutung der Maschine in der modernen Gesellschaft zwar bewusst und anerkannte ihre Vorteile, die Erleichterung die sie dem Menschen bringt: „Unsere Welt ist eine Welt der Maschine. Wir leben inmitten von Maschinen; sie machen uns alle möglichen Dinge leichter, helfen uns beim Arbeiten und beim Zeitvertreib [..]“ Aber er stellte zugleich fest: „Die Maschinen vermehren sich sehr viel schneller als die Menschen, beinahe wie die allerfruchtbarsten Insekten; sie zwingen uns bereits dazu, uns um sie zu kümmern, viel Zeit mit ihrer Pflege zu verlieren; sie haben uns verdorben [...] In wenigen Jahren werden wir ihre Sklaven sein.
Die Künstler sind die einzigen, die die Menschheit vor dieser Gefahr bewahren können. [...] Sie müssen anfangen, die Anatomie der Mechanik kennenzulernen, die Mechanik als Sprache; sie müssen das Wesen der Maschinen verstehen [...] Die Maschine von heute ist ein Monstrum! Die Maschine Muss zum Kunstwerk werden! Wir werden die Maschinenkunst entdecken!
“ Von diesem Geist beseelt, schuf Munari Aritmia (Abb.4). Dieses abartige Gebilde war mit einem Motor ausgerüstet, aber statt der Regularität, welche die Funktionalität einer Maschine gewährleistet, zuckte diese unnütze Maschine in unregelmäßigen Bewegungen, wie vom Husten geschüttelt. Lächerlich ratterte sie vor sich hin, wirklich unnütz geworden. Ironie der Zeit: Die Technik, die so viele Neuerungen nach sich zog und auch eine Möglichkeit bot, kinetische Objekte zu erzeugen, wurde hier zum ersten Mal als Wrack dargestellt, als unbrauchbar gewordener, abgenützter Gegenstand, der nur noch im Weg steht. Was bei Munari fast als Nebenprodukt seiner Reflexion entstanden war, sollte einen anderen Künstler nachhaltig beeinflussen: Jean Tinguely, der 1959 das Manifest „Für Statik“ verfasste.

Wie um auf Munaris Postulat zu antworten, baute Jean Tinguely, für die Ausstellung „Le Mouvement“ ein Auto-Mobil. Mit seinen bemalten Scheiben erinnerte dieses bunte Gefährt an einen Calder, der ohne Lenker ziellos durch die Menge der Zuschauer raste. Tinguely, der bereits 1951-52 begonnen hatte, seine Werke mit Elektromotoren auszustatten, drückte damit nicht nur aus, dass sich alles bewegt, sondern auch, dass diese Bewegung nicht gelenkt, sondern motorisch“ ist. Doch was ist damit gemeint? Der Begriff ‘motorisch’ kommt aus dem Lateinischen ‘movere’ und bedeutet im philosophischen Sinn das Urprinzip der Bewegung, welches alles in Gang hält. Als ‘motorisch’ werden sowohl die treibende Kraft des Windes und des Wassers als auch jene, die durch den Einsatz eines Menschen oder eines Tieres erwirkt wird, angesehen. Im medizinischen Bereich wird damit das Nervenzentrum, welches die Bewegungsabläufe steuert, bezeichnet. Als im 19. Jh. Apparate erfunden wurden,

die durch eine mechanische Bewegung eine Energie in eine andere transformieren konnten, nannte man diese Apparate ‘Motor’, in Analogie zur Bezeichnung anderer treibenden Kräfte. Wenn Motorik jene treibende Kraft designiert, die auf irgend eine Art und Weise, die Bewegungen eines Lebewesens oder einer Maschine steuert, so ist daraus zu schließen, dass der oder das sich Bewegende ‘passiv’ agiert: ob Mensch oder Maschine, es besitzt keine Entscheidungsgewalt über die eigene Dynamik. Vor diesem Hintergrund gestellt werden die motorisch vor sich hin ratternden Objekte Tinguelys zur Metapher der Essenz eines jeden Lebens: „Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht“ verkündete Tinguely in seinem Manifest und ermahnte, den Lauf der Dinge anzunehmen: „[...] Hört auf, der Veränderlichkeit zu widerstehen. Seid in der Zeit - seid statisch, seid statisch - mit der Bewegung [...]“ Was mag Tinguely mit dieser widersprüchlichen Aussage gemeint haben, wenn nicht das, was ein unbekannter Autor so formulierte: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“. Es ist eine Aufforderung mit der Bewegung des Kosmos mitzuhalten, um immer im „jetzt stattfindenden JETZT“ zu sein. Tinguely machte sich hier die alte Feststellung der Römer „tempora mutandur et nos mutamur in illis“ zu eigen und setzt fort: „Widersteht den angstvollen Schwächeanfällen, Bewegtes anzuhalten, Augenblicke zu versteinern und Lebendiges zu töten.“ Diese Worte erinnern an den Aufruf, mit dem Naum Gabo und Anton Pevsner ihr „Realistisches Manifest“ von 1920 abschließen: „Heute ist die Tat. Wir werden morgen dafür Rechenschaft ablegen. Die Vergangenheit lassen wir hinter uns als Leiche. Die Zukunft überlassen wir den Wahrsagern. Wir nehmen den heutigen Tag!“ Bereits sie signalisierten, dass das reelle Leben und seine Gesetzmäßigkeiten einzig und allein relevant seien und erhoben das Aktive, die Tatform zum Schönheitskriterium.

Mit der Bewegung gehen heißt in letzter Konsequenz auch die Endlichkeit des Daseins anerkennen. Nichts anderes tat Tinguely , als er im gleichen Jahr Hommage à New York für die Weltausstellung in New York schuf. Diese Monumentalskulptur zerstörte sich selbst im Laufe der Ausstellungseröffnung. Mit der Autodestruktion eines seiner Kunstwerke stellte Tinguely der dauerhaften Gültigkeit der Aussage eines Kunstwerks radikal in Frage und, darüber hinaus, aller anderen Werte. „Gebt es auf, immer wieder ‚Werte‘ aufzustellen, die doch in sich zusammenfallen.“ In diesem Urteil steckt allerdings nicht nur Destruktivität und Resignation, denn Sprengen heißt Energie frei setzen, was übrigens auch in der Feuerwerk Aktion, die Takis und Errò 1958 vor dem Bahnhof von Montparnasse in Paris veranstalteten, zum Ausdruck kam. Bei Tinguely ging es darum, den gegebenen Rahmen zu sprengen, Chaos zu produzieren um etwas Neues zu schaffen. So werden die Reste von
Hommage à New York zu neuen Objekten recycelt wie z. B. Kamikaze. Deshalb trägt Hommage à New York den Untertitel ‚“self-distructing –self constructing“.

Bewegung als Energiequelle
Auch die Cloud canyons von David Medalla bauen sich selbst auf. Ein regelmäßig laufender Motor quirlt ununterbrochen Wasser, dem Seife beigemischt wurde und produziert wolkenartige Gebilde aus Schaum. Diese Bubble machines – so wird diese Werkgruppe treffend genannt – gestalten organische Skulpturen, die sich langsam aufrichten, sinnlich und verspielt. Während Tinguelys Kamikaze aus dem Chaos geboren wurde, entwickeln die Cloud Canyons willkürlich unförmige Erscheinungsformen, dem alleinigen Prinzip des Zufalls folgend. Wie das nackte Leben wachsen und - der Entropie eines jeden organischen Wesens überlassen, fallen sie wieder in sich zusammen, um kurz danach mit neuer Energie einen neuen Zyklus zu beginnen. Ohne darauf eingehen zu wollen, müssen in diesem Zusammenhang auch Rauschenbergs Mud pieces genannt werden.

Auch die skurrilen Skulpturen des Belgiers Pol Bury scheinen eher Zufallsgesetzen als einer planmäßigen Waltung zu gehorchen. Überzählig angehäufte Zylinder drohen vom Podest zu fallen, zucken ... und bleiben in der Luft hängen; Kugeln klettern gegen jegliche Logik der Schwerkraft den Säulenstumpf entlang. Zwischen den verschiedenen Teilen entstehen Reibungen, wie zärtliche Berührungen, teils heiter, teils frech, immer sinnlich. Die Drolligkeit der Bewegungen, die Sinnlosigkeit der Handlung und der Verstoß gegen jegliche Logik verbinden Pol Burys Skulpturen mit dem Theater des Absurden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ausgerechnet Eugène Ionesco eine der treffendsten Aussagen über das Werk von Pol Bury machte. In der permanenten Bewegung sah er den Ausdruck des stetigen Wandels, das Kontinuum der Evolution eher als eine immer wiederkehrende Revolution. Er bemerkte, dass diese Bewegung innerhalb eines zwangsläufig beschränkten Zyklus, eines gegebenen Rahmens ablief. In der Begegnung zwischen der unaufhörlichen Bewegung mit dem, durch die Form des Objektes bestimmten, Rahmen sah er die paradoxe Verbindung des Beschränkten mit dem Unbeschränkten. Die Unendlichkeit der Zeit bewegt sich in der Endlichkeit des Raumes. Die Transformation ist nicht definitiv, denn sie ist nicht beendet, aber das Werk bleibt identisch, trotz der Veränderung. In diesem Sinne hat Pol Bury vielleicht ein kosmologisches Prinzip berührt.

Um den dynamischen Prozess dreht es sich auch bei Takis‘ Werkgruppe Télélumières. Im Gegensatz zu Tinguelys Maschinen setzten diese technoiden Geräte nicht Schrott in Bewegung, sondern Energie frei. Energie ist hier als Ausdruck des Kraftpotentials verstanden und impliziert Gewalt. Daher wirkt diese Werkgruppe respekteinflößend, fast beängstigend. In den meisten Fällen kommt es bei Takis eher auf das Kräfteverhältnis als auf das Kraftpotential an. Dies kommt schon in Télésculpture zum Ausdruck, die er 1959 an der Terrasse des Bahnhofs von Montparnasse in Paris fixierte: ein hufeisenförmiger Magnet, der zwei Kugeln im Bann hielt. Die schwere Kugel schwebte und vibrierte in der Luft, zwischen der Schwerkraft der Erde und der Anziehungskraft des Magnets hin und her gezogen. Im Gegensatz zu Calder begnügte sich Takis nicht mit einer poetischen Umschreibung der gegenseitigen Abhängigkeit der Planeten und der zwischen ihnen herrschenden Anziehungskraft, sondern bediente sich wissenschaftlicher Mittel, um seine Werke zu konstruieren. Was er darstellen wollte war nichts anderes als die energetische Kraft, die Bewegung und Stillstand bedingt. Eigentlich erhellt Takis damit die so widersprüchliche Aufforderung Tinguelys „seid statisch - seid statisch mit der Bewegung“ auf eindrückliche Weise. Denn ein Körper, welcher der Anziehungskraft von zwei entgegengesetzten Polen magnetisch unterliegt, verharrt unbewegt zwischen ihnen in der Schwebe, solange das Kräfteverhältnis unverändert bleibt.

Von der reellen Bewegung zum reellen Leben
Die Überwindung der Schwerkraft
Takis gab sich allerdings nicht damit zufrieden, Objekte in der Luft schweben zu lassen: Unter dem Einfluss der bevorstehenden Sendung des ersten Mannes im All, veranstaltete er, gemeinsam mit seinem Dichterfreund Sinclair Beiles, am 29. November 1960 die Aktion Das Unmögliche oder ein Mann im All (Abb.5) in der Galerie Iris Clerk: Mit einem Magnet ausgestattet, sprang Sinclair Beiles von einer diagonal aufgerichteten Eisenstange und schwebte für kurze Zeit als lebende Skulptur in der Luft, im Spannungsfeld zwei anderer Magnete, die an der Wand und an der Decke angebracht waren. Genauso wie die Kugeln vor dem Bahnhof von Montparnasse blieb auch er in der Luft suspendiert.

Die Überwindung der Schwerkraft wird auch in Werken des Belgiers Panamaern thematisiert. In Reaktion auf den Provinzialismus der Stadt Antwerpen, die ihn, wegen seiner Experimente mit Polyester, aus der Akademie der Künste herausgeschmissen hatte, veranstaltet er, ab 1964, Happenings in den Straßen von Antwerpen: Als Bewunderer des Piloten Howard Hughes trug er gerne eine Pilotenuniform und bekleidete die Rolle eines Millionärs, der stets weiße Anzüge oder einen weißen Panama-Mantel trug und einen Cadillac fuhr. In diesem Outfit veranstaltete er die Aktion Magnetische Schoenen (Abb.6): Seine Schuhe, die mit starken Elektromagneten versehen waren, erlaubten ihm wortwörtlich an die Decke zu gehen. Damit erreichte Panamarenko als lebende Skulptur dieselbe Wirkung wie die Skulpturen seines Landesgenossen Pol Bury. Der Zustand des Schwebens wurde nicht wie bei Takis als eine Frage des Gleichgewichts gestellt, die durch die Aussage „I am a living sculpture that says Bomb...“ eine politische Bedeutung als Protest gegen die Atombombe erhielt. Bei Panamarenko stand das Burleske, eine poetisch verträumte Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten in den Vordergrund.

Mimesis alter Mechanismen Die Sinnbilder einer versteinerten Gesellschaft Auch die living sculptures von Gilbert and George sind dem weiten Feld der Skulpturen in Bewegung zuzuordnen. Hier werden nicht Menschen von Automaten nachgeahmt, sondern zwei lebende Menschen verstehen ihr Leben als eine Skulpturengruppe. In ihren Anfängen 1967 bemalten sie als Living sculptures ihre sichtbaren Körperteile mit Bronzefarbe und kleideten sich mit konservativen, viktorianisch strengen Anzügen. Auf einem Podest ‚gestellt‘, sangen sie, bis zu acht Stunden täglich, das Kinderlied „Underneath the Arches“. Dieses Ritual wiederholten sie über Jahre hinweg und ersetzten auf diese Weise die Musikautomaten aus Großmutters Zeiten. Die ewig gestrige romantische Gesinnung, die Gilbert and Georges Arbeit inspiriert, drückt sich auch in den benutzten Gestaltungsmittel aus. Die Bildgeschichte Oh, the Grand old Duke of York von 1972 wird in Form eines „flicker-book“ dargestellt: beim raschen Durchblättern der Seiten zwischen Daumen und Zeigefinger huschen Gilbert und George die Treppe hinunter oder umgekehrt, eilen rücklings hinauf. Das „flicker-book“ erzielt denselben Effekt wie der Stroboskop, der fotografierte Bewegungsabläufe wie im Film passieren ließ. Um den spielerischen Charakter dieser Arbeit noch zu steigern, wird sie „von einem englischen Kindervers begleitet, der vom Grand old Duke of York berichtet, wie er seine zehntausend Mann auf einen Hügel marschieren ließ, um sie dann wieder hinunter marschieren zu lassen. Und der Vers enthält als Quintessenz die Erkenntnis, dass sie, wenn sie oben waren, oben waren, wenn sie unten waren, unten waren, und wenn sie auf halbem Wege waren, weder oben noch unten waren“. Während Duchamp mit seinem Nu descendant l‘escalier das Auge auf den Mechanismus der Bewegung hinsteuert, verweist die narrative Darstellung derselben Handlung bei Gilbert and George auf die Banalität der Handlung und – weil die Treppe Bestandteil einer nicht genau definierten, bedrohlichen Architektur ist - verweist sie auf eine versteinerte Gesellschaft. Ein alltägliche Bewegung wird zur Gesellschaftskritik.

Personifizierte emotionale und psychologische Reaktionen Während Gilbert and George ihre Inspiration in der Volkskunst suchen, setzt sich Rebecca Horn mit den emotionalen und psychologischen Reaktionen zwischenmenschlicher Beziehungen auseinander. Ob in Filmen oder Installationen tritt sie als Regisseurin auf, die Menschen und Objekte gleichermaßen als Akteure in Szene setzt. Mit Prothesen versehen erfährt der Körper plastische Veränderungen, die sich auf seine Beweglichkeit auswirken und ihm skulpturale Züge verleihen. In Paradieswitwe (1975) wird die Frau komplett von einem Federmantel umhüllt, der sie zugleich schmückt und schützt. Das prachtvolle Gefieder lenkt die Aufmerksamkeit auf sich und bringt nicht nur durch den Schein der schwarzen Federn, sondern auch durch die phallische Form eine erotische Konnotation ins Spiel. Es ist eine anziehende Hülle, ein Kokon der den eigentlichen Menschen verbirgt und in den Konventionen des Gesellschaftsspiels gefangen hält. Das Federwerk kann denselben Mechanismus auch als verselbständigtes Objekt wiederholen, wie zum Beispiel im Film La Ferdinanda (1979-80). Hier handelt es sich um weiße Pfauenfedern, die ein Rad schlagen und das erotische Spiel des balzenden Pfaues mimetisch nachahmen. Derselbe Inhalt wird in der Installation Pfauenmaschine (Abb.7), die Rebecca Horn 1982 in einem Pavillon in Kassel realisierte, wiederholt, mit dem Unterschied, das nur ein metallisches Gerippe statt der Federpracht den Mechanismus des Vorgangs zeigt. Die Pfauenmaschine baut hier ein Rad auf, das sich soweit ausdehnt, bis es die Innenwände des Pavillons berührt. Dieser Vorgang kann durch ein Fenster aus der Ferne bewundert werden. Kaum kommt das Rad mit der Wand in Berührung, zuckt der mechanische Pfau zusammen und senkt den ausgebreiteten Schweif auf den Boden. Dadurch versperrt er den Zutritt in das Pavillon, was als Abwehrmanöver zum Schutz des eigenen Reservats angesehen werden kann. An diesen Beispielen wird deutlich, dass die Objektwelt von Rebecca Horn im Sinne Foucaults „subjektiviert“ wird, wodurch die Grenzen zwischen Objekt und erlebendem Subjekt fallen. Mensch und Maschine sind austauschbar. In dieser Hinsicht sind sie mit den animistischen und barocken Maschinen, die Tinguely in den 70er und 80er Jahren machte, verwandt. Doch sowohl die intendierte Darstellung als auch die Ästhetik ihrer respektiven Maschinenwelt weichen voneinander ab. Während Tinguelys Maschinen aus Schrott in einem wilden Totentanz noch ein letztes Mal gegen den Stillstand opponieren und nur leidvoll resignieren , sind die klaren, fast minimalistischen Maschinen von Rebecca Horn Ausdruck einer quicklebendigen, imperativen und oft quälenden Liebeslust. Sie buhlen, balzen, bieten sich an; prachtvoll, eitel und selbstbewusst diktieren sie ihre Wünsche. Der Bezug zur Erotik wird durch die Wahl der Materialien gestützt: Federn, Merkur, transparentes Glas, Metall. Manche verweisen auf alchimistische Prozesse, was darauf hindeutet dass es sich um Aussagen dreht, die von allem unnützen Ballast gereinigt sind. Dem entspricht die kühle Präzision der Objekte, die Genauigkeit der inszenierten Bewegungen, welche die Mechanismen der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Maskeraden, die zur Erfüllung der geheimnisvollen und unaussprechbaren Wünsche eingesetzt werden, entlarven.

Zurück zu den Automaten
Automatismen
Mit Jonathan Borofsky kehren wir in die Welt der Automaten zurück, oder, um präzise zu sein, zu figurativen bewegten Skulpturen. Seine Ikonographie greift auf verschiedene Quellen zurück: die Welt des Zirkus in The Dancing Clown at 2.845.325, des Mythos in Rocks at 3.214.885, der Arbeiterwelt in The Hammering Man der Wissenschaft in Friendly Giant (Molecule Man at 2.908.463). Obwohl es wieder bewegte Skulpturen sind, die, von der Funktion und dem Mechanismus her gesehen, sich kaum von den Automaten des 18. Jahrhunderts unterscheiden, ist ein Gesinnungswandel zu beobachten, The Dancing Clown at 2.845.325 (Abb.8) ist eine dreieinhalb Meter hohe, hybride Figur mit dem Gesicht des traurigen, weißen Clowns und dem Körper einer Ballerina. Das weiße Tutu mit dem blauen Korsett, die schwarzen Netzstrümpfe und die rosaroten Ballettschuhe verleihen der Figur einen Look, das jenen der Barbie–Puppen entspricht. Damit vertritt sie eine Ästhetik der 60er Jahre, die bereits zur Zeit ihrer Entstehung im Jahre 1982-83 altmodisch wirken musste, ganz im Gegensatz zu den Automaten des 18. Jahrhunderts, die mit ihren Roben die modischsten Trends der Zeit aufgriffen. Auch die Begleitmusik greift mit Frank Sinatras Schlager „I did it my way“ einen Oldtimer auf, der genauso wie die Figur auf die Welt des Showbusiness verweist. Auf einen Podest gestellt, steht The Dancing Clown voll im Rampenlicht eines Spotlight, das einen Lichtkreis auf den Vorhang hinter der Bühne zeichnet. Er tänzelt zwischen den uneben liegenden Bodenplatten, wie einst die Vorführerinnen, die im Zirkus die nächste Nummer ankündigten. Doch statt animierend mit den Hüften zu rollen, schwingt er mechanisch das Bein, indifferent. Er wirkt wie ein Transvestit, der sich in keiner der beiden Rollen zurecht findet. Der Clown wird zum Symbol des Outsider, der ob seiner Andersartigkeit vereinsamt. Der konsequente Verweis aller ikonographischen Mittel auf die Welt des Showbusiness legt die Vermutung nahe, dass Borofsky mit The Dancing Clown at 2.845.325 auf die Stellung des Kunstschaffenden in der Gesellschaft hindeutet. Die merkwürdige Referenz auf die Millionenziffer im Titel rückt jedoch die Handlung weitab unserer Zeitrechnung oder fernab unserer Galaxie. Traum oder Wirklichkeit, Fiktion als Ausdruck einer persönlich erlebten Realität? Hinter dem Bild des Künstlers könnte sich eine Deutung von allgemeiner Tragweite verstecken, nämlich dass unsere heutige Gesellschaft bereits obsolet erscheint im Hinblick auf eine vorhersehbare Veränderung

Betrachtet man die genannten Werke in ihrer chronologischen Entstehungszeit, scheint eine Wandlung in der Auffassung der Rolle des Menschen im Werk Borofsky einzutreten: In The Dancing clown wird die Konfrontation zwischen dem Individuum und der Gesellschafter angesprochen, die Isolation des nicht Konformisten in einer genormten Gesellschaft. In The Hammering man (1984) wird umgekehrt der genormte Mensch, der zur einfallslosen, Roboter-Arbeit gezwungen ist, dargestellt und dabei seine Individualität einbüßt. In Friendly Giant (1984) ist der Mensch nur noch als chemische Substanz dargestellt, ein genetisch manipulierbares Molekularwesen, willenlos verformbar. Eine zweite Version Moving molecule man (1986) wird durch den Computer gesteuert und kann also vom Betrachter aktiviert werden. Seine Bewegungen sind nicht eigenständig, sondern von außen gelenkt. In Rocks at 3.214.885 (1989) bleibt vom Menschen keine Spur mehr, außer dem betriebsamen Werken. Die Steinblöcke erledigen nun selbst die sinnlose Sisyphus Arbeit im ständigen Wechsel des Auf- und Abbaus, wie um zu zeigen, dass der Planet sich immer wieder aufs Neue erschafft.

Mit Borofskys Skulpturen in Bewegung schließt sich der Kreis der Automaten. Nach einer langen Phase der Abstraktion greifen sie die Tradition der alten Automaten wieder auf, wobei auch bei ihnen die Bewegung ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit ist. Diese dient aber anderen Zwecken: Nicht mehr die Mimesis der menschlichen Handlung wird hier angestrebt, sondern die Bewegung trägt zur Aussage des Werkes bei. Technisch greift Borofsky sowohl auf konventionelle Mittel, wie die längst überholte Mechanik, zurück als auch auf moderne Techniken, wie die Steuerung durch den Computer. Auch die ikonographischen Quellen entspringen unterschiedlichen Bereichen, wie dem Showbusiness und der Wissenschaft, um nur zwei Beispiele herauszugreifen. Sucht man den gemeinsamen Nenner, so ist er nicht so sehr in Disneyland zu finden, wie es Mahonneys Artikel vermuten lässt, als in den Schlagzeilen der Presse, der einzige Bereich, indem Diversität und Aktualität verbunden sind. So gesehen, haben die automatisierten Skulpturen von Borofsky einen ebenso aktuellen Bezug wie die Automaten von damals. Allerdings haben sich die Intentionen verlagert, denn Borofskys figurative Skulpturen machen sich die Errungenschaften der abstrakten kinetischen Werke zunutze: Bewegung ist ein Mittel zum Zweck, denn seine Werke erzählen sich nicht, sondern sie verweisen auf andere Inhalte. Sie sind figurativ, aber nicht narrativ.

Skulpturen in Bewegung oder kinetische Kunst?

Die Automaten
Man könnte die Liste der Künstler, die Skulpturen in Bewegung in der jüngeren Kunstgeschichte produzieren beliebig erweitern, vor allem, wenn auch die Klangskulpturen und Installationen einbezogen werden. Wichtiger erscheint es, auf die Anfangs gestellte Frage nach einer Definition der Kinetik zurückzukommen. Die hier präsentierten Arbeiten berücksichtigen nur jene Werkgruppe, die sich selbst bewegt. In den meisten Fällen wird die Bewegung durch einen Motor erzeugt. Dabei konnten wir zwei Typen von Skulpturen unterscheiden: die figurativen und die abstrakten. Die figurativen beweglichen Skulpturen sind Automaten, die ursprünglich die menschlichen Funktionen nachahmten. Es ist bezeichnend für diese Werkgruppe, dass sie ihren Ursprung im Theater nimmt, später die höfische Gesellschaft unterhält, bevor sie im 19. Jahrhundert das schaulustige Publikum des Zirkus belustigt, um zur Zeit der Belle époque ein letztes Mal in den Salons der haute société zu brillieren. Danach erobern die Automaten das weite Feld der Spielzeuge.

Kinetische Kunst
Mit der Einführung der Abstraktion wird es erstmals in der Geschichte möglich, die Bewegung als selbständiges, von jeglicher Handlung losgelöstes, Phänomen darzustellen. Lange zuvor waren Fotografen wie Muybridge, Marey und Gilbreth, nach ihnen auch die Futuristen, um die Visualisierung der Bewegung an sich bemüht gewesen. Nun war dies möglich: doch schon in den ersten kinetischen Objekten von Duchamp, Gabo und Moholy-Nagy wurde die Bewegung nicht zum Selbstzweck dargestellt, sondern als Mittel zur Veranschaulichung abstrakter Begriffe eingesetzt, präziser gesagt, um Raum und Zeit zu definieren. Gleichzeitig hatte die Einführung der reellen Bewegung im Kunstwerk eine direkte Auswirkung auf das Verständnis der Plastik: Durch die Loslösung aus dem Zustand der Statik entstanden auf einmal virtuelle Formen, die aus Luft gemeißelt waren. Mit seinem Space Modulator (Raum Modulator) leitete Moholy-Nagy eine Wende in die Entwicklung der kinetischen Skulptur ein, denn die Plastik war zugleich Malmaschine und somit ein Instrument, um Schattenspiele in den Raum zu inszenieren. Dieser Gedanke wurde von Schöffer aufgegriffen und durch den Einsatz elektronischer Steuerung erweitert, so dass seine kybernetischen Skulpturen auf äußere Einflüsse reagierten. Damit waren die ersten interaktiven Werke geboren.

Während Schöffers Kunstbegriff sich aus der Osmose von Kunst und Wissenschaft herausbildete, was später auch bei Takis und Panamarenko der Fall sein wird, richteten andere Künstler, darunter Munari und Tinguely, einen kritischen Blick auf die Maschine und ihr Potential an Energie und Zerstörungskraft. Das wesentliche Element an Tinguelys ‚Maschinen‘ ist die ihnen inhärente Motorik, jene treibenden Kraft, die jegliches Leben bedingt. Seine dahin ratternden ‚Maschinen‘ werden zum Symbol metaphysischer Prozesse und schließlich zu Metaphern menschlicher Wesenszüge. Tinguelys Maschinen können in dieser Hinsicht als Vorläufer der Prozesskünstler, hier durch David Medalla vertreten, angesehen werden. Sie öffnen ebenfalls den Weg zu den Installationen von Rebecca Horn, welche die emotionalen und psychologischen Reaktionen zwischenmenschlicher Beziehungen mimen.

Partizipation:
Kunstwerke, die bewegt werden können
In der Einführung wurde erwähnt, dass eine zweite Werkgruppe zur kinetischen Kunst gezählt wird, die aus Objekten besteht, welche an sich statisch sind, aber, aus bewegbaren Teilen zusammengesetzt, vom Betrachter verändert werden können. Als Beispiel soll hier Iaacov Agam mit seinen Signes pour un langage von 1953 vorgestellt werden. Sie bestanden aus Reliefs mit variablen Elementen, die der Betrachter nach Lust und Laune verstellen konnte. Das Potential an Variationsmöglichkeiten schien beinahe unerschöpflich. Was der Israeli Iaacov Agam damit bezweckte, war die Illustrierung der Transformation, die sich während einer unbestimmten Zeitdauer ereignet, wobei die eintretende Veränderung diese in bestimmte Zeitabstände unterteilt. Der Veränderungsprozess unterliegt den Gesetzen des Zufalls, ob und wann ein Betrachter sich als Schöpfer ans Werk wagt. Agams Signes pour un langage sind somit Metaphern dafür, das jedes Ereignis in einem ständigen und unberechenbaren Veränderungsprozess begriffen ist. Diese Intention verbindet sie mit den sonst so andersartigen ‚Maschinen‘ von Tinguely. Indem er aber den Betrachter aktiv aufforderte, an die Gestaltung und Umgestaltung seines Kunstwerkes mitzuwirken, zeigte er auch eine Geistesverwandtschaft mit Schöffers CYSP. Obwohl Agams Werke sich ideologisch mit beiden entgegengesetzten Tendenzen der kinetischen Kunst verbinden lassen, brachte er mit dieser Werkgruppe einen neuen Dankansatz, jenen der Partizipation. Damit leitete er eine Verlagerung der Gewichtung in der kinetischen Kunst, die nicht mehr bestrebt war, immaterielle Begriffe zu veranschaulichen, sondern eine neue Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter herzustellen.

Kunstwerke, die sich bewegen, bewegt werden können oder bewegen:
Die GRAV (Groupe de Recherche d’Art Visuel), die sich im Juli 1960 in Paris konstituierte erhob die Partizipation zum Konzept. In einer ersten Phase beschränkte sie ihre Recherche auf die visuelle Kommunikation, was aus den programmatischen Schriften klar hervorgeht. Darin war folgendes zu lesen: „Das menschliche Auge ist unser Ausgangspunkt. [...] Der Rapport zwischen dem Werk und dem menschlichen Auge bringt von selbst neue Seh-Situationen hervor und das Werk existiert nur in diesem Rapport.“ Seine Mitglieder schöpften im Formenrepertoire der geometrischen Abstraktion, die ihrem ästhetischen Anspruch entsprach. Im Unterschied zu Vasarely lehnten sie die Malerei als Gestaltungsmittel strikt ab und mit ihr die persönliche Handschrift. Denn sie wollten jeglichen Romantizismus aus ihren Werken verbannen und neue Wertmaßstäbe setzen. Deshalb befürworteten sie den Einsatz neuer Materialien wie Plexiglas und Aluminium, die eine Umsetzung bildnerischer Formen ins Dreidimensionale ermöglichten. Sie reizten das Spiel mit der Technik bis zum Exzess aus und setzten verzerrende Gläser und Linsen, Spiegel, Plexiglasscheiben, Metallstaub, gegeneinander abgesetzte Metallplatten, über-, hinter oder nebeneinander angeordnet ein, um im Spiel des Lichtes Bewegungsabläufe vorzutäuschen und Raumirritationen zu erzeugen. Entscheidend dabei war, dass die Werke technisch reproduzierbar waren, denn hier ging es um eine neue Beziehung zwischen Künstler und Gesellschaft. Im Manifest „stoppt die Kunst2“ von 1963 schrieben sie: Wenn es einen gesellschaftlichen Aspekt in der modernen Kunst gibt, muss er den Betrachter einbeziehen.“ Zwar hatte bereits Vasarely in der technischen Reproduzierbarkeit die Möglichkeit einer breiten Streuung gesehen. Der GRAV wollte darüber hinaus den Betrachter in das Leben des Kunstwerkes implizieren. Er sollte sich bewegen, um die optischen Spiele des Kunstwerks zu erleben; in anderen Worten wurde er dazu aufgefordert aktiv die Effekte des Werkes zu entdecken. Neben GRAV produzierten in Deutschland die Gruppe „Zero“, der Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker angehörten, und in Italien die um Giulio Carlo Argan versammelten Künstler der „Arte programmata sistematizata“ ebenfalls kinetische Werke.
Es war Daniel Spoerri und Karl Gerstner vorbehalten den Gedanken der Partizipation mit der Edition MAT an den Mann zu bringen: sie präsentierten eine Kollektion der damals aktuellsten Tendenzen, sprich Nouveau Réalisme und kinetische Kunst, als Unikate in Serie. Die Idee der Multiplikation, der Transformation und der Partizipation hatte das Feld der kinetischen Kunst gesprengt und war zum leitenden Gedanken einer neuen Generation avanciert.

Im Hinblick auf eine präzisere Definition der kinetischen Kunst, muss grundsätzlich die Frage gestellt werden, ob Werke, die bewegt werden können, aber an sich statisch sind wie die Signes pour un langage von Iaacov Agam, wirklich dieser Gruppe zuzurechnen sind. Wenn man ‚Kinetik‘ im Sinne der griechischen Wortes als ‚die Lehre von den Bewegungen unter dem Einfluss innerer oder äußerer Kräfte‘ auslegt, wo weist der Begriff auf eine sich wiederholende Bewegung. Dies ist im Wort Bewegung selbst nicht unbedingt der Fall: ohne adjektivische Ergänzung bedeutet Bewegung laut Wörterbuch eine Lage- oder Ortsveränderung, die nicht unbedingt eine wiederkehrende Handlung voraussetzt, sondern eine Richtung angibt. Einmal die Bewegung vollzogen, ergibt sich daher ein verändertes Bild, das sich bei passiver Betrachtung von unbeweglichen nicht unterscheidet. Im Fall der hier besprochenen Arbeiten trifft die Definition der Bewegung, nicht aber der Kinetik zu. Es wäre aber weit verfehlt, Iaacov Agam aus dem Bereich der kinetischen Kunst ganz auszuschließen, denn mit anderen Werkgruppen produzierte er ‚Malereien in Bewegung‘, die durchaus mit den Kriterien der kinetischen Kunst übereinstimmen: Mouvement et transformation besteht aus Metallelementen, die auf einer perforierten Holzplatte befestigt sind. Durch einen Motor in Rotation gebracht sind die farbigen Metallelemente nur als Farbspur wahrnehmbar. Daraus lässt sich ableiten, dass man eher von kinetischen Werken als von kinetischen Künstlern sprechen sollte. Des Weiteren sollte der Begriff auf den Bereich jener Objekte eingeschränkt werden, die durch reelle oder vorgetäuschte Bewegung die Wahrnehmung von einem anderen abstrakten Phänomen ermöglicht, gleich ob es um Farb- Zeit- Evolutionsräume, oder um energetische, psychologische und emotionale Faktoren geht.

Skulpturen in Bewegung
Bleibt zu klären, inwieweit die figurativen Skulpturen in Bewegung, die seit den siebziger Jahren wieder auftreten, sich im Bereich der kinetischen Kunst einordnen lassen. Anders als bei den Automaten von damals, ist hier die Bewegung nicht mehr Ausdruck einer technischen Glanzleistung. Sie wird vielmehr als ergänzendes Mittel zur Sinndeutung der Figur eingesetzt und verweist auf eine, über die reine Darstellung hinaus reichende Aussage. Die Bewegung als solche ist ein essentieller Bestandteil der Skulptur, ohne welches das Werk nicht erschöpfend gedeutet werden könnte. Dieser Wesenszug verbindet die Skulpturen in Bewegung mit den abstrakten kinetischen Werken.

Die Erweiterung der Kunstwerks durch den Einsatz grenzüberschreitender Mittel beschränkt sich nicht auf die Bewegung, sondern integriert auch den Ton. Dies führte dazu, dass nebst den Skulpturen in Bewegung, gelegentlich auch noch Klangskulpturen als kinetische Werke angesehen werden. Wenn Klangskulpturen des Öfteren durch Bewegung aktiviert werden, - was sie zumindest oberflächlich mit den kinetischen Werken verbindet – ist dies nicht unbedingt immer der Fall: Alvin Luciers Piano with half closed lid z. B. wird durch einen Bewegungsmelder in Gang gebracht und Elmar Dauchers Klangsteine sind unbewegte und unbewegliche gemeißelte Steine, die wie ein Instrument gespielt werden. Sie haben mit kinetischer Kunst ebenso wenig zu tun wie ein Klavier oder eine Geige. Als Skulptur geformt und als Instrument spielbar, gehören sie in den Bereich der Klangskulpturen, keinesfalls der Kinetik. Die Sachlage verhält sich anders bei Borofskys The Dancing Clown: Im Gegensatz zu den genannten Klangskulpturen ist der Klang in diesem Fall nur eine Begleiterscheinung, welche die Interpretation des Kunstwerkes bekräftigt. Die Skulptur bleibt allerdings auch ohne die musikalische Begleitung verständlich, nicht aber ohne die Bewegung. Dass es in einem Bereich, der bewusst grenzüberschreitend sein will, auch zu Überlappungen kommt, ist nicht zu vermeiden. Es erscheint aber wichtig, zumindest jene Werke auszuklammern, bei denen der Bewegungsablauf nicht Bestandteil der Arbeit ist. Werke, wie Kees Aafjes „Spanische Fliege“ von 1993, hat „ein aktives Verhalten, das sie in gewisser Weise als eine eigenständige und individuell belebte Gestalt zu erkennen gibt“. Sie lässt allerdings keine Manipulation im Sinne einer Bewegung zu, noch tritt bei der Berührung eine optische Veränderung ein, so dass sie nicht als kinetischen, wohl aber als interaktive Klangskulptur anzusehen ist.

Man ist geneigt, die Gruppe der figurativen Arbeiten als Skulpturen in Bewegung zu bezeichnen. Formal gesehen entspricht dies der Bejahung der skulpturalen Form gegenüber einer stärkeren ‚objektivierten‘ Formgebung bei den kinetischen Arbeiten. Auch die Qualität der Bewegung selbst ist eine andere: In beiden Fällen verweist sie auf etwas hinter den Dingen. In den kinetischen Werken ist dies mit einer optischen ‚Täuschung‘ verbunden, in den Skulpturen in Bewegung nicht. In dieser Hinsicht bilden die Werke von Tinguely einen Grenzfall, denn sie verweisen auf Zeitabläufe und ziehen aber in den meisten Fällen keine optische Täuschung nach sich.
Danièle Perrier
August 1998

Liste der Abbildungen:
Marcel Duchamp, Demi-Sphère rotative, um 1920, Metropolitan Museum of Art, New York,
Foto courtesy Universität Koblenz-Landau
Naum Gabo, Kinetische Konstruktion, auch Standing Wave genannt, um 1919/1920, Original verschollen, Foto courtesy Universität Koblenz-Landau
Nicolas Schöffer, CYSP I mit der Ballettgruppe von Maurice Béjart beim Festival d'Art d'Avantgarde, Marseille 1956 Foto Eléonore Lavandeyra-Schöffer
Bruno Munari, Macchina Inutile (Aritmia) 1945, Krefeld, Krefelder Kunstmuseum
Takis, L'impossible: un homme dans l'espace, Galerie Iris Clerc, Paris 1960, Foto courtesy Takis
Panamarenko, Magnetische Schoenen, Performance in der Galerie Iris Clerc, Paris, 1960, Foto Courtesy Universität Koblenz-Landau
Rebecca Horn, Pfauenmaschine (geöffnet), Pavillon in Kassel 1982, Foto courtesy Universität Koblenz-Landau
Jonathan Borofsky, Ballerina Clown 1990 Foto, Foto courtesy Ludwig Forum

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