Textversion

Sie sind hier:

Index

Essays

Katalogtexte

Anja Teske

Rainer Dissel

Liliana Basarab

Sheila Barcik: Eine Reise ins Innere

Laura Bruce

Stefan Demary

Roswitha von den Driesch: Das Maß aller Dinge

Jáchym Fleig

Setsuko Ikai Non solo sed etiam

Pierre Joseph

Petra Keinhorst

Nitsch Orlan Röhrscheid

Pierre-Yves Magerand

Aurelia Mihai

Christiane Schlosser

Canan Senol

Barbara Thaden

Cony Theis

Atelier de france

Pressetexte

Interviews

texts in English

Rezensionen

Suchen nach:

Allgemein:

Startseite

Datenschutzerklärung

Impressum

Kontakt

sitemap

Ausstellung Transmission, NASPA Wiesbaden 2010

Jáchym Fleig ist gelernter Steinbildhauer, was in seinem Gefühl für großzügige, kraftvolle Formen zum Ausdruck kommt. Sein Arbeitsprozess ist jedoch dem des „Bildhauers“ entgegengesetzt, denn er formt nicht durch das Abtragen von Materie, sondern durch das additive Prinzip des Modellierens. Das wiederum stellt eine Verbindung zu Bozetti her – Modellen aus Ton, Gips oder Wachs, welche die zeichnerischen Entwürfe ins Dreidimensionale umsetzen. Auch die Skulpturen von Fleig sind aus leicht formbarem Material – Zweikomponenten-Polyurethan, Gips, Pappmache und Holz – , wobei ihnen auch in der Ausführung der spontane Gestus eines Bozzettos erhalten bleibt.

Fleigs Skulpturen gehen in der Regel eine symbiotische Verbindung mit der Architektur ein: Im Innenraum haben sie einen invasiven Charakter. Sie scheinen aus der Wand zu wachsen, okkupieren den Raum und dringen auf der anderen Wandseite in den Außenraum durch. Das gewählte Material suggeriert Auswüchse, die sich an der Wand bilden, Nester, die sich an Hausfassaden heften oder wie urige Gesteine wirken. Oft entsteht der Eindruck des Unbeständigen, Verformbaren, das potentiell wachsen oder durch Witterung zerstört werden kann. Es ist ebenso dominierend wie die Wechselwirkung mit der Architektur unzertrennlich.

Verbund ist eine frei in den Raum gestellte Skulptur. Es handelt sich um eine organisch gewachsene „Behausung“ mit unzähligen runden Löchern, die als Fenster oder Höhlen-/Nesteingänge gedeutet werden können. In gewisser Weise erinnert sie an utopische Architekturen wie Friedrich Kieslers Unendliches Haus oder auch an Höhlenbehausungen wie in der süditalienischen Stadt Matera. Auffallend ist das Verhältnis des plastischen Gebildes zu den beiden mobilen Industrierollwagen, die ihn tragen: er durchdringt sie in allen Teilen ohne aufzuliegen, wird zugleich von ihnen gehalten und hält sie wiederum zusammen – eine Bedingung für ihr Gleichgewicht, denn die Räder sind nur an den Außenseiten montiert, sodass sie als Einzelteil kippen würden.

Die abgeflachte Rückseite der Skulptur deutet darauf hin, dass sie von einer Wand losgelöst und somit von ihrem ursprünglichen Standort entfernt wurde. Der Gedanke des Verbunds ist also vielseitig deutbar. Die Tatsache, dass die Skulptur nun wieder mit den beiden Trägerelementen, mit denen sie wegtransportiert wird, eine Symbiose eingeht, untermauert den Eindruck, dass es sich eher um etwas Organisches als Gebautes handelt, etwas, das schnell wächst und wuchert, fähig ist, sich jeden Träger anzueignen.

Und dennoch steht am Anfang dieser so frei wirkenden Skulpturen ein mit dem Computer erstellter planerischer Entwurf: an ihm sieht man, wie die parallel verlaufenden blauen und roten Linien auf einmal anfangen sich frei zu entfalten und zwar so, dass die einzelnen Striche nicht erkennbar sind. Alle gemeinsam umreißen sie einen Innenraum, ein Volumen, das den Kern der skulpturalen Form mit graphischen Mitteln zum Ausdruck bringt.

Danièle Perrier, anlässlich der Ausstellung Transmission, Naspa Wiesbaden, verfasst, in: Nichts zeigen, Balmoral Jahrbuch 2010