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Lieber Professor Sackenheim, liebe Frau Ikai, liebe Ulla
Meine Damen und Herren,

Ich freue mich ganz besonders, Ihnen die gemeinsame Mappe von Rolf Sackenheim und Setsuko Ikai vorstellen zu dürfen und danke Ihnen, lieber Herr Sackenheim, daß Sie mich für diese Aufgabe auserwählt haben. Sie werden sagen: das ist schließlich ihr Beruf. Dennoch, ich bleibe dabei. Lassen Sie mir schildern wieso. In einem Ihrer Kataloge hat Thomas Konofol geschrieben, daß Sie, auf der Suche nach Autoren, „sich an jemanden heranpirschen, bei dem Sie mehr oder weniger verwandte Gesinnungen wittern, ... nicht [um] irgendein Vernissagengeschwätz aus ihm herauszulocken. Nein, Ihr beständig in sich selbst forschendes und grabendes Künstler-Ich sucht einmal mehr die Konfrontation mit einem Gegenüber, das möglichst viel von seiner eigenen Individualität preisgeben soll, damit Reibung entsteht und Funken stieben„ (R.S., Galerie ART 204, 1991, S.17f). Dieser Aufforderung will auch ich gerne nachkommen und mit Ihrem Werk und jenes von Ikai in Kommunikation treten.

Meine Damen und Herren, es sei mir daher vergönnt, die üblichen biographischen Daten über das Künstlerduo Sackenheim – Ikai zu unterlassen. Die Meilensteine ihres Werdens können Sie in den zahlreichen Publikationen nachlesen, persönlichere Fragen direkt an die Künstler richten. Sie werden Ihnen gerne antworten, in ihren eigenen Worten, das heißt mit der persönlichen Note, der subjektiven Färbung ihrer Wahrnehmung des Selbst. Ganz im Sinne von Konofol, erforschen Sie ihre Künstler-Ich, lassen Sie sie ihre Individualität preisgeben und reiben Sie sich an ihre Individualitäten, damit der Funke auch zu Ihnen überspringe. Aber eines sollten Sie vorab tun, nämlich die Werke auf sich wirken lassen. Platte Neugier über die Person wäre fehl am Platz, wenn sie nicht vom Reiz getragen tiefer in das Kunstwerk einzudringen. Ich möchte fast sagen: Kunst braucht sie, nicht um zu sein, das ist sie Kraft ihres Schöpfers, sondern um im Lichte Ihrer Augen hundert Leben zu erleben.

Die hier erstmals vorgestellte Mappe trägt den Titel „Spiele„. Sie enthält acht Graphiken von Ikai und acht von Sackenheim. Jede Graphik wird zusätzlich von einem Gedicht über das Spiel begleitet, was ein weiteres Spannungsfeld in die Lektüre einbringt.

Grafik an sich ist ein Medium der Stille, ein Kammerstück, das in der Abgeschiedenheit eines Kabinetts betrachtet werden will. Jeder einzelne Strich verlangt Aufmerksamkeit, jede Linie – die Gerade, die Gebogene und die Angewinkelte - will in ihrer Intensität, in ihrer Durchlässigkeit, im Zusammenspiel mit den anderen Linien und mit dem abgrenzenden Weiß gelesen werden. Ich übe mich in diesem Geduldspiel, das eine unüblich gewordene Verlangsamung unserer Sinneswahrnehmung erfordert und betrachte zuerst die Bildserie von Sackenheim.

Ich sehe eine Vielzahl von schnell hingeworfenen, feingliedrigen, kurzen Linien, die sich verdichten, eine Art Drahtgeflecht bilden. Die Linien sind Energie geladen, dynamisch, mit absoluter Treffsicherheit gesetzt. Doch so sehr das Detail besticht, es gelingt ihm nicht mir Einhalt zu gebieten und mein ungeduldiges Auge schwenkt auf die Globale. Ich sehe Ikarus, geflügelte Drachen, Dämonen, Chimären, Grotesken, Gerippe, Vögel, Insekten, fliegende Fische, Raumschiffe, Kreisel, Spiralen.. Sie schweben durch die Lüfte und tanzen im wirbelnden Wind, sie fliegen hin zum Himmelszelt, verharren beharrlich in der Luft; nur selten berühren sie die Oberfläche des Erdballs. Energie geladen halten diese dynamischen Luftwesen in der Schwebe inne, wie Colibris, deren schnelle Flügelschläge vom Auge nur als Schattenkontur wahrgenommen werden, sodaßsodass sie den Anschein geben, an einem unsichtbaren Faden suspendiert zu sein. Dieser Zustand von kraftvollem Innehalten in der Bewegung verbildlicht auf eindrückliche Weise Tinguelys Aufforderung: „Seid statisch – mit der Bewegung Für Statik im jetzt stattfindenden JETZT„. Mit diesem scheinbar widersprüchlichen Aufruf, fordert Tinguely den Lauf der Dinge anzunehmen, immer auf den Weg zu sein und dennoch in sich zu ruhen. Auf diesem Schnittpunkt zwischen Sein und Werden, zwischen Ruhe und Dynamik konzentriert sich die Aussage der Arbeiten von Sackenheim. Er zeigt ein Ist-Zustand, das schon im nächsten Moment vielleicht ganz anders sein wird. Seine Graphiken sind Schnappschüsse, Photographien innerer Welten.

Dies erklärt sein Interesse an das Medium Photographie. Ein Blick auf die hier ausgestellten Photographien zeigt, daß die von ihm ausgewählten Motive meistens Details zeigen, z. B. einen Torbogen, Pflastersteine, Fahrspuren im Schnee, Lichtprojektionen auf der Wand, im Nebel getauchte Landschaften. FaszienierendFaszinierend wie er durch die Auswahl des Ausschnitts, durch Licht und Schatten Kontraste, Nebel und Dunst die reale Welt in zweidimensionale Bilder umsetzt, wie er aus einer gegenständlichen Vorlage ein abstraktes Bild gestaltet. Licht und Schatten sind sein Malkasten um Flächen zu gestalten, die scharfe Kante zwischen ihnen bildet die Linien. Bei seinen Photographien geht es nicht darum, die Dingwelt realiter zu wiedergeben, sondern darin enthaltene Bildpotentiale frei zu legen, also eine subjektive Sicht der Dinge zu übermitteln. Durch den Verlust an Volumen büßt die Dingwelt ihre spezifische Stofflichkeit ein und macht sich die Sprache der Graphik zu eigen. Die Struktur von Holz, Mauerwerk, Wasser oder Gras verweist auf die Eigenschaften des graphischen Oeuvres und spannt einen Bogen zwischen den verschiedenen Medien: Hier innere Bilder, Chimären, die in der Phantasie des Künstlers Körper annehmen, da Detailaufnahmen der nackten Realität, die aus dem Blickwinkel des Künstlers ikonisch werden.

Den aerischen Wesen von Sackenheim steht in den Graphiken von Ikai ein Erdenreich gegenüber. Ist der Erdball bei ihm als unsichtbar gedachte Linie am tiefsten Punkt der Zeichnung, so ist bei Ikai die Horizontlinie im oberen Bereich des Blattes zu suchen. Dichte, tiefschwarze Linien, die a priori jegliche Interpretation verweigern, beseelen als „Nichtformen„ die Fläche, damit meine ich Formen, die durch die Dichte des Tuschauftrags so schwarz sind, daß sie sich wie Negative auf dem hellen Grund ausnehmen. Doch ein Loch, daß Einblick in die Tiefe zuließe, läßt Ikai genauso wenig zu wie die Bildung perspektivischer Räume. Indem die schwarzen Linien die helleren Farbwerte überlagern, wird Helles mit Dunklem verwoben. Es gibt nur einen einzigen Raum: den der Graphikplatte. Er bestimmt die Organisation des Motivs, das sich von den Rändern zur Bildmitte hin aufbaut. Oft berühren Linien oder Flächen den Rand, als würden sie von außerhalb des Rahmens kommen. Sie geben damit zu erkennen, daß das Bild nur einen Ausschnitt aus einem größeren Kontext zeigt. Sie führen nicht von der Bildmitte zum Rand hin, sondern sie kommen von irgendwo und bauen sich vor unseren Augen auf. Spröde, dünne Federstriche, die manchmal zaghaft erscheinen und mit Nachdruck fortgesetzt werden, abrupt abbrechen kontrastieren mit weichen, fließenden, breiten Linien, die wie Pinselstriche wirken.

Im Gegensatz zu Sackenheim, der seine Wesen mit dem Meißel ziseliert, mit der Rohrfeder zeichnet oder mit dem Photoapparat eingraviert, malt Ikai ihre Graphiken. Als Malerin überträgt sie die Technik der Pinsel und Farbe auf die Radierplatte. Deshalb entsteht das Gefühl von weichen, haptischen Formen. Man möchte sagen, daß die Graphiken farbig sind, so fein sind die Nuancen der weißen Fläche, die hier zart rosa, dort blau oder grau anmutet. Winzige Eingriffe – kleine Schatten, Striche, Spuren gestalten sie, machen sie Teil der Darstellung. Hier gibt es kein Motiv auf einen blanken Hintergrund, sondern ein Bild.

Was zeigen diese Bilder? Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß die schwer zu fassenden Formen etwas tellurisches an sich haben. Manchmal sieht man Landschaften, innere Landschaften, die von Erdgeister beseelt werden. Hier beschattet ein Urwesen aus der Unterwelt den Horizont, da scheint ein Kobold, mehr Präsenz als Gestalt, zu kämpfen. Doch es sind nur Assoziationen die sich mir anbieten. Die Werke von Ikai sind nicht animistisch, nur rätselhaft, geheimnisvoll. Vielleicht deshalb, weil zwei Welten aufeinanderprallen: Die Welt der gesuchten Expression, die Sprache der jungen Wilden von denen sich Ikai angezogen fühlt, entspricht und jene der unsagbaren Geduld, der Zeitlosigkeit ihrer eigenen, japanischen Kultur.

Diese Begegnung drückt sich im Zusammenwirken von Energie geladener Ausdruckskraft und Disziplin aus. Im Gegensatz zu den Werken der Jungen Wilden „kotzt„ Ikai ihre Seele nicht aus. Nicht Trieb ist am Werk, sondern die Reibung des Ichs mit der Außenwelt. Nicht Bewegung, sondern Dynamik als Prinzip des Werdens, kein Pathos, sondern Intensität des Ausdrucks, ein Ausbalancieren der Kräfteverhältnisse, der Versuch Gegensätzliches im Gleichgewicht zu halten. Dies erfordert Ausdauer, Kontinuität, Beherrschung. Daher sind die Landschaften, die wir sehen, nicht festgefügt: Sie bewahren die konstante Möglichkeit der Veränderung, wie die Eisfelder der Arktis, die Wogen des Wassers, die Wolkenwände.

Die Werke des Künstlerduo Sackenheim - Ikai verhalten sich zueinander wie der Vogel und der Fisch in Juliette Grecos Lied, die einander lieben und Wege der Begegnung suchen. Der Vogel beschreitet Wege in der Luft, der Fisch zeichnet sie im Wasser. Nur für Sekunden können sich die beiden Kreaturen auf dem Wasserspiegel begegnen. Deshalb wird der Weg Ausdruck Ihres Lebens, ihrer Gefühlswelt. Der Weg selbst wird zum Ziel. Es ist kein zielloses Gehen, sondern ein planvolles auf dem Weg sein, offen für Begegnung, auf Hindernisse achtend, in einem Wort, es ist ein wachsames Gehen. Der Weg ist Kommunikation, mit sich selbst und mit den Anderen.

Sackenheim und Ikai haben diesem Werk noch ein weiteres aussagekräftiges Element beigefügt, nämlich die Texte. Diese sind auf der linken Seite des Bogens, gleichwertig neben den einzelnen Grafiken gedruckt. Daher erübrigt sich die Frage ob Wort oder Bild das Primat haben. Illustrieren die Bilder die Texte oder erläutern die Texte die Bilder?. Sie ahnen die Antwort. Die Texte sprechen für sich. Die Texte erklären nicht. Sie sind ikonisch, Kürzel eines Gedanken, letzten Endes genauso abstrakt wie die Bilder selbst. Sie sprechen vom Leben, vom Spiel, vom Leben als Spiel, vom unlenkbaren Zufall, vom Annehmen, von Torheit und Weisheit. Wenn eine Berührung zwischen Text und Bild stattfindet, dann nur im Sinne sich gegenseitigen Zuwerfen des Balls, des Aufgreifens des zugespielten Balls und des Zurückschickens. Es ist ein Spiel zwischen Wort und Bild. „Spiele„, auf japanisch „Asobi„, so der Titel dieser Mappe meint das Spiel mit dem Leben und ich möchte hinzufügen, das Spiel mit der Kunst, um mit Bruno Munaris Kunstbegriff abzuschließen:
Kunst hieß im antiken Griechenland Techné,, im Japan der Frühzeit Asobi. Techné ist die Technik, Asobi ist das Spiel. Technik ist das „wie„ oder auch das „gut„ Machen. Asobi ist das unbekümmerte, auf die Freude am Machen ausgerichtete Spiel. Es scheint, Kunst mache sich dann deutlich, wenn diese beiden Voraussetzungen sich die Waage haltnehalten. Jedes Spiel hat seine Regeln, und jede Kunst hat ihre Technik.„

Lassen Sie sich auf die Spiele ein, zu denen Sie Sackenheim und Ikai einladen, lernen Sie ihre Spielregeln oder erfinden Sie neue. Wie auch immer, Sie werden gewinnen.



Danièle Perrier