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Ein lebendiger Gartenzwerg

Zur Verleihung des Kunstpreises Balmoral 03 e.V.
Bad Ems, 17. Oktober 2010

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Mitglieder des Fördervereins Balmoral 03
Ich begrüße sehr herzlich den Vorsitzenden Wilhelm Zimmermann und seinen Vorstand, Frau Ursula Klein und Herr Guido Lotz und natürlich die Künstler Kristofer Paetau, Ondrej Brody und Josef Zeman.
Wir alle haben uns heute versammelt, um den Kunstpreisträger des Kunstpreises Balmoral zum Thema „Provokation aus der Provinz“ Kristofer Paetau zu ehren und mit ihm seinen Künstlerkollegen Ondrej Brody, der das Projekt mitgestaltet hat und den Schauspieler Josef Zeman, der eine Woche lang in die Rolle des Gartenzwergs geschlüpft ist.
Ich will nicht wiederholen, wie es zur Auswahl von Kristofer Paetau gekommen ist, sondern lediglich sagen, dass er auf Vorschlag von Diego Castro, der 2004 Balmoral Stipendiat war und später dann Juror, ein Projekt eingereicht hat.
Bevor ich auf das hiesige Projekt eingehe, möchte ich kurz seinen Werdegang erwähnen.
Kristofer Paetau ist ein finnischer Künstler, der 1991 zu nächst Ästhetik und Französisch in Helsinki, dann Kunstgeschichte an der Ecole du Louvre in Paris studierte. Sein Master absolvierte er an der Ecole Nationale Supérieure d’Art de Clergy bei Paris. 1999 bis 2000 war er Meisterschüler von John Armleder in Braunschweig, setzte mit einem Postdiplôme an der ERBAN in Nantes fort und nicht genug, 2005 2006 war er auch noch am Higher Instittute for Fine Arts in Antwerpen in Belgien.
Aus diesem curriculum vitae lässt sich ablesen, dass Kristorfer Paetau bei weitem kein Dilettant ist, was im Hinblick auf die stets wieder gestellte Frage, ob das Projekt mit dem lebendigen Gartenzwerg denn Kunst sei, uns vorsichtig stimmen muss.
Übrigens hat auch Ondrej Brody eine ähnliche Ausbildung genossen, zuerst an der Escuela Superior de Arte in La Havana, dann an der Universität der Künste im Fach Zeit basierte Medien in Berlin, an der Akademie der Künste in Prag, dann ebenfalls am Higher Instittute for Fine Arts in Antwerpen in Belgien und schließlich im De Ateliers, independent artists' institute, Amsterdam.

Nun was benutzt das Küntlerpaar Paetau/Brody als Medien für ihre Kunst?
Sehr oft setzen sie sich mit Werken der Kunstgeschichte auseinander: Das zeigen Titel wie „Picassos Salon“, „Le Déjeuner sur l’herbe“, „Akt Saloon“, „Gerhard Richter“ oder noch „Salvator DaliX“.
Deren Werke setzten sie allerdings nicht einfach als Inspirationsquelle in neue Bilder um, sondern in gewisser Weise resozialisieren sie deren Werke, indem sie sie wieder im Alltagsleben einverleiben.
Ein Beispiel: Paetau hat Schulkinder animiert, Zeichnungen von Picasso nachzuzeichnen. Deren Bilder hat er selbst wieder nachgemalt und diese in einem Coiffeurladen, der „Picassos Laden“ heißt, weil die Frisöse ihre Arbeit selbst auch als Kunst ansieht und ihren Laden deshalb nach dem berühmtesten Maler benannt hat, gehängt. An der Hängung war das ganze Team beteiligt. Die Bilder bleiben vorerst hängen und verändern zur Zufriedenheit aller, das Ansehen des Ladens. Obwohl die Aktion an der Kunstwelt vorbeiging, ist die Kunst im Gespräch und zwar an einem Ort, wo man es nicht erwartet. Auch die Kids erfuhren über das „arabische Telefon“, dass ihre Malaktion im nahegelegenen Coiffeursalon Fuß fasste.
Wichtig ist den beiden Künstlern das Einbeziehen des Publikums.
„Akt Saloon“ nimmt ebenfalls Bezug auf ein Frühwerk von Picasso, wo ein junger einen Fohlen führt. Für besagte Aktion haben Paetau/Brody einen Bodybuilder engagiert, der gemeinsam mit einem Pony nackt Modell steht, während Country Music gespielt wird. Das Publikum wurde wie hier in Bad Ems dazu eingeladen, das ungewohnte Sujet zu zeichnen oder zu malen. Die Spannung entstand durch die beabsichtigte künstliche Haltung des Bodybuilders, der mit der Natürlichkeit des Ponys kontrastierte, aber auch der eindeutigen Proportionsverschiebungen, die sich zwischen dem Muskelprotz und dem viel zu kleinen Pferd ergeben. Alle Mitwirkenden hatten dabei einen Vertrag unterzeichnet, mit dem sie sich verpflichteten jegliche weitere Nutzung der entstandenen Zeichnungen den beiden Initiatoren zu überlassen.
Denn wichtig ist bei dieser Form Kunst, die in der Regel sich außerhalb der Kunstzentren und unter Ausschluss der Fachwelt abspielt, die Dokumentation.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Rollenspiele von Schauspielern oder Profis gegen Bezahlung erfolgen. Dies ist auch beim lebendigen Gartenzwerg der Fall, oder in dem wirklich provokativen Video „Le Déjeuner sur l’Herbe“ nach dem berühmten Bild von Manet – das übrigens zur Zeit seiner Entstehung ein Skandal auslöste, denn es stellt nackte Frauen in der Gegenwart angezogener Männer dar. Paetau/Brody haben die Szene von Prostituierten nachbilden lassen, bei denen kein Detail ausgelassen wird. Witzig ist dabei, wie sie den vorgegebenen französischen Text nach und nach nachsprechen, mit allen Zwischenphasen von Verballhornungen. Nur beim aufmerksamen hinhören bekommt man mit, was die Hure denkt – nämlich hoffentlich ist es bald fertig – und was der Freier empfindet, nämlich Lust.
Hier meine Damen und Herren sind wir voll in der Provokation, die vielen Werken der beiden Künstler anhaftet und weshalb etliche ihrer Arbeiten als Degenerate Art, als Rebell Art oder dergleichen abgestempelt werden.
Nun, was ist mit dem lebendigen Gartenzwerg? Wenn man die Berichte des Fernsehens Glauben schenkt, so sind sich alle einig, dass die Aktion lustig und witzig und nicht provokativ ist. Aber entspricht dies dem tatsächlichen Gefühl der Menschen? Ich hörte die Künstler selbst sagen, dass jene, die dem Projekt kritisch gegenüber standen, sich nicht im Fernsehen äußern wollten und ich weiß aus eigenen Gesprächen, dass sogar unter den Balmoral Stipendiaten Bedenken gegen das Projekt bestehen. Auch wenn die seitens des Ministeriums befürchtete Provokation nicht in dieser Form stattfand, die Tatsache, dass ein Kleinwüchsiger unter uns weilte und in die Rolle einer Märchenfigur schlüpfte, hat sicher etliche zum Nachdenken geführt. Das zumindest scheinen O-Töne wie „Der Mann hat viel Mut“ zu beweisen.
Der Gartenzwerg bedient in unseren Kreisen ein Klischee von Kitsch, der in den meisten von uns zumindest einen Anteil Sympathie hervorruft. Wie wäre es sonst zu verstehen, dass ein Land wie Deutschland die Gartenzwergidylle auf seinem Stand in Shanghai Platz einräumt, und offensichtlich mit Erfolg?
Und wenn wir beim Kitsch sind möchte ich auf den ersten Satz des eingereichten Projekts zurückgreifen und auch den Bogen zur Ausstellung schließen: „Provinz entsteht im Kopf“. Die Tatsache, dass hier Amateurbilder neben einem in China in Auftrag gegebenen Ölbild stehen, zeigen, dass das akademisch nach einem Foto nachgemalte Bild aus Shanghai künstlerisch um kein Jota besser ist als jedes der hier entstandenen Hobby-Bilder. Auch die Vorstellung, dass ein Ölbild etwas Wertvolles sei, wird hier ironisiert. Was wäre von einem Künstlerpaar, deren Werke unter Beteiligung der Gesellschaft entstehen und die zum Teil im Alltag einwirken, und für die das Netz der Ausstellungs- und Austragungsort ist, anders zu erwarten?
Hier ist der Ansatz für die Provokation zu suchen, die sich vielleicht wie in anderen Projekten von Paetau/Brody letzten Endes im Netz fortsetzen könnte.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Danièle Perrier